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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Wäldern rund um Linz viel unterwegs gewesen sei, vor Jahrzehnten, als die Geländefahrräder gerade in Mode gekommen waren.
    Der Erdhügel im Kürnbergerwald war mein Ziel gewesen, ich stocherte in dem Schutthaufen, der einmal ein römischer Wachturm vor den Toren von Lentia gewesen war, damals noch nicht ausgegraben und in seinen Fundamenten nachgebaut. Dabei hatte ich im lockeren Nadelwaldhumus eine voluminöse Gabel gefunden aus weißlichem Gebein oder einem Stück Horn, keine dreißig Zentimeter tief verschüttet, und hatte mir vorgestellt, dies sei ein vorgeschichtliches Artefakt, heilige Gerätschaft, oder eine primitive Harke, angefertigt von denen, die vor allen anderen diese Abhänge zur Donau besiedelt hatten. Die Kriegerkönigin, Yhra, die Rote, die Wilde, groß und sehnig und stark stellte ich sie mir vor, in einem knappen Fellbikini, wie Raquel Welch in diesem blödsinnigen Steinzeitfilm; die jeden Mann durch die nackte Präsenz von Weiblichkeit und Macht überwältigende Yhra hockte an einen Eichenstamm gelehnt und grub zwischen den Wurzeln, ein gegabeltes Stück Hirschgeweih in Händen, stieß es in die schwarze fette Hügelerde, auf und ab zwischen ihren Muskelschenkeln mit der zartflaumigen Haut, drang ein in den Boden, der der ihre war.
    Ich habe ihr Werkzeug gefunden, zwanzigtausend Jahre später, in dem sauren Waldboden auf den Hängen des Kürnbergs, der einen dummen Namen hat, Kürn kommt von chorn, horn, was oben heißt, das Obere, also Berg, so nannten die slawischen Stämme den dicken, fruchtbaren Brocken mit den steilen Abhängen zur Matka Duna, auf dem sie sich festgekrallt hatten nach der Völkerwanderung. Und die tumben blonden Germanenbauern behielten den Namen bei, nachdem sie die Slawen vertrieben hatten, nicht wissend, dass sie ihren Chornberg oder Hornberg oder Kürnberg, dessen Bäume heute am Westrand von Linz die industriebeschmutzte Luft von Vöest und Chemiewerk auffangen, genau genommen Bergberg nennen.
    Für meine eigene Donausage stelle ich mir eine Art Gottesdienst vor, Yhra, die Kriegerin, war zugleich die Priesterin ihres Clans, der Hirschclan muss es gewesen sein, darum penetrierte sie Mutter Erde mit den Hirschenzacken, auf dass die Bitte erhört werde, die große Mutter möge den Hirschmännern Bärenfrauen oder Fuchsfrauen oder Dachsfrauen schicken, auf dass sie sie begatten können und das Leben nicht aufhöre, weiter und weiter zu leben. Denn Hirschfrauen durften sich nicht befruchten lassen von Hirschmännern. Das war das Gesetz. Einer vom Rabenclan durfte keine vom Rabenclan vögeln, einer vom Bärenclan keine vom Bärenclan. Mann und Frau mussten verschiedene Totems haben. In Wahrheit ging es natürlich darum, keine kleinen verblödeten Krüppel in die Welt zu setzen, die den Stamm belasten, und sei es nur mit der Lästigkeit, die kleinen Dorftrottel möglichst still und gelassen zu töten, ohne Aufregung in den Stamm zu bringen. Darum fassten sie die Personen eines mehr oder weniger nahen Verwandtschaftsgrads zusammen zu einem Clan, und weil sie sonst ja nichts kannten, gaben sie diesen Großfamilien Namen von Tieren. Das ist alles. Die Erfindung von Totem ist nur eine Maßnahme, ist nur Installierung eines Inzesttabus. Kein Geheimnis dahinter, nicht mehr Geheimnis als hinter den Namen Kaineder, Kehrer, Kogler, Kornbichler und Lehner.
    Warum haben Sie als junger Mann in den Wäldern des Kürnbergs nach Resten des Imperium Romanum gesucht?, hatte der Sprecher meiner Auftraggeber gefragt, als ich ihm vom Prinzensteig vorschwärmte und von meiner Absicht berichtete, eine Linzer Episode zu erfinden, sozusagen eine Erweiterung von Eugipps Vita , in der der Heilige Mann von Lentia aus durch die Eichen- und Buchenhaine nach Westen wandern würde, vorbei am in meinen Jünglingsjahren noch unausgegrabenen Römerwachturm aus der Zeit des Mac Aurel, immer weit genug oberhalb der Donau, um nicht nur den schnell springenden Strom, sondern auch die Ufer von Rugiland im Auge zu haben. Wo dann der Hügel endet und die Weitung dessen beginnt, was wir das Eferdinger Becken nennen, würde ich Severinus rasten lassen, und dabei eine kurze Reflexion einbauen über das Kloster, das die Jünger des Clairvaux’schen Bernhard dort hingestellt hatten, unweit der Stelle, wo Wilher seinen Speer in den Boden gerammt hatte mit dem Ruf: Das ist mein Ing!
    Das war doch sicher nur die gegabelte Spitze eines Hirschgeweihs, das vor einem Jahrzehnt oder zwei ein mächtiger Zwölfender abgeworfen

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