Das leere Land
und nahmen die Instrumente auf. Drei ältere Herren im Fitnessdress, unglaublich gesund sahen sie aus, und zwei junge Burschen, Studiomusiker in Punker-Verkleidung. Edgar Broughton räusperte sich, trat an den Bühnenrand, mit einem Haarschnitt wie ein Börsenmakler, in einem schwarzen T-Shirt mit Werbeaufdruck einer Sportartikelfirma – und in einer hautengen neonfarbenen Radlerhose.
The air was thick like honey, begann er zu singen. Evening Over Rooftops . Sie spielten es fragiler und eindringlicher als auf der Platte mit den Rinderhälften, von feinen, leisen Akustikgitarrentönen ausgehend schwoll der Song an zu einer gewaltigen elektrischen Hymne, und wenn man die Augen schloss und den Oberkörper sanft wiegen ließ zum Rhythmus, dann stimmte es, dann war es gut. Aber mit offenen Augen war es nicht auszuhalten, wie er da oben stand, dieser Mann, der einst angebrüllt hatte gegen die Dämonen von Ausbeutung und Unterdrückung, und jetzt in einer Radlerhose, gesund und dynamisch, fit, ein Wohlstandsbürger in seinen frühen Fünfzigern, der aussieht wie einer in seinen Vierzigern, aber doch nicht wirklich, zu sehr ist erkennbar, dass er das nur schafft mit viel frischer Luft und Sport und gesunder Ernährung. Den will ich nicht. Ich will einen Edgar Broughton, der in St. Pölten nicht auftreten kann, weil er gewaltig verkatert ist vom Burgendland-Konzert des Vorabends.
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Kraftlos, müde und unfähig machte mich der lächerliche Selbstmordversuch meiner Mutter. Lächerlich war er, das erfuhr ich bald von den Ärzten, sie selbst erzählte mir nie Details. Sie hatte den Beipackzettel der Pillen gelesen, die ihr der Hausarzt gegen besorgniserregenden Bluthochdruck verschrieben hatte. Da stand der verstümmelte Satz: Kann bei Überdosierung zu Herzstillstand führen. Daraufhin hatte sie den gesamten Inhalt der Packung auf einmal hinuntergeschluckt. Der darauf folgende unmittelbar eintretende Blutdruckabfall hatte sie schwindlig und teilweise desorientiert gemacht. Und hatte sie dermaßen geängstigt, dass sie den Hausarzt angerufen hatte. Niemand kann sich umbringen mit blutdrucksenkenden Mitteln, sagte ich zum Arzt. Nun ja, Betablocker sind schon –, sagte er, zog dann die Schultern hoch, murmelte etwas davon, dass man nie irgendetwas zur Gänze ausschließen könne, denkmöglich sei vieles, was man nicht glauben würde.
Sie sah besser aus an diesem Nachmittag. Lebendig und zum Plaudern aufgelegt. Sie fragte, was mich an diesen nun wirklich alten Geschichten mit den Römern und Germanen und heiligen Männern interessiere. Es ist vor allem die gute Bezahlung, sagte ich, es war eine Lüge, aber eine, die begonnen hatte, sich zu wandeln und allmählich zur Wahrheit zu werden. Weil ich die Geschichte nicht fand. Wo bist du, Geschichte, fluchte ich immer öfter vor der Laptoptastatur, fluchte, weil sich mir nicht entfalten wollte, was Eugippius da zusammengefaltet und verborgen hatte hinter der langweilenden Abfolge von Legenden und Wundermären.
Die Hasenfellmenschen im hohen Norden Kanadas, von denen die Nachfahren von Kohls Lieblingsindianern an den Großen Seen mit leiser Bewunderung und manchmal spürbarem Neid erzählten, weil denen das Schicksal, oder eigentlich die Unwirtlichkeit ihrer Heimat gegönnt hatte, sich nicht bis über die Selbstaufgabe hinaus den bleichen Eroberern von östlich des Ozeans zu unterwerfen, haben ihre Geschichtenerzähler verehrt. Weil sie sie gebraucht haben. Um schlafen zu können. In den unendlich langen Winternächten, wenn es nichts zu tun gab außer die Zeit vergehen zu lassen und mit den Proviantvorräten sparsam umzugehen, verschwommen die Stunden und Tage und Nächte zu einem Einerlei, das Vor-sich-hin-Dösen wurde ihnen in den Erdhütten zu einer immer größer werdenden Anstrengung; je länger die Nächte wurden, umso schwieriger wurde es, die Sehnsucht zu erfüllen nach leichtem, selbstverständlichem Einnicken, nach tiefem Schlaf, nach Erwachen erfrischt und hellen Sinnes.
Da musste der Erzähler her. Er wusste, wann er was zu erzählen hatte, damit der ganze Clan gleichzeitig müde wurde, gleichzeitig schwere Lider bekam, gleichzeitig hineinschnarchte in die Felle, gleichzeitig nach erquickenden zwölf Stunden die Glieder streckte in den neuen Tag, den aber keine Morgensonne ankündigte, ein Vierteljahr lang.
Ich beiße jeden Tag ein Stück vom Winter ab, so nannten die Erzähler ihre Arbeit, die besten unter ihnen waren stolz wie die Pfaue, wenn ein ganzes
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