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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Erzählerleben lang nie jemand das Ende ihrer Erzählung gehört hatte, weil ihre Kunst so groß war, dass jedem früher oder später die Augen zugefallen waren.
    Kohl hat mit großer Bewunderung von den indianischen Vereinen zum Vortrage von Geschichten und Mährchen geschrieben und von den geschickten Erzählern und von seiner Freude an diesen geistigen Lebensquellen der Menschen. Sie sprachen und erzählten äußerst geläufig, ohne die geringste Affektation, notierte er in seine Notizhefte, sie sprachen leise und gleichförmig, ohne viel Pathos und Gestikulation, sodass man glaubte, das fortgesetzte Rieseln eines Baches oder das Säuseln des Windes zu hören. Die äußere Belebung des Vortrags war diesen Erzählern egal, schreibt Kohl, das Leben steckte im Inneren der Rede, in ihren originellen Einfällen, in ihren erfinderischen Wendungen. Über zwei, drei Seiten analysiert er die literarischen und rhetorischen Künste der sogenannten Wilden, es muss sich da in ihm der Sprachforscher und Sprachkritiker aus Des deutschen Mundes Laute mit Macht wieder einmal gerührt haben, er beginnt darüber zu philosophieren, wie Geschichten wandern und weitergegeben werden und sich dabei verändern und doch ihre Essenz behalten, er registriert und beschreibt auch den Sound des Erzählten und kommt am Ende zu Longfellow, das einförmige Versmaß von dessen Hiawatha interpretiert er als bewusste Nachstellung der cadenzlosen Vortragsweise der Indianer. Kein Wunder, dass er der Erstausgabe von Kitchi Gami einen Vers aus Hiawatha als Motto vorangestellt hat: From the forests, from the prairies. From the great lakes of the Northland. From the land of the Ojibways – I repeat them, as I heard them.
    Solcherart sollte mein Erzählen sein, fokussiert auf das Innere der Rede, dann entstünde vielleicht doch noch eine Geschichte aus dem planlosen zufälligen Zusammenschichten von Schnurren und Belehrungssequenzen aus der Vita des Heiligen Mannes. Ich will meine Geschichten Hasenfellmenschen erzählen, und nicht Bildungstouristen und Landesausstellungsbesuchern. Ein Stamm hockt dicht beisammen voll Verzagtheit und anschwellender Angst, weil die Welt draußen sich verdüstert und verdüstert, weil die Finsternis zunimmt und jede Hoffnung darauf raubt, dass es irgendwann einmal doch wieder heller werden würde, und weil es nichts zu tun gibt, das den Zustand ändern könnte, zur Tatenlosigkeit verdammt sind die Tatendurstigsten ebenso wie die Trägsten. Was sie schließlich zermürbt, was sie wünschen lässt, es möge endlich zu Ende gehen, so oder so. In dieser Lage erscheint nun der Retter, er hockt sich in ihre Mitte und hebt an zu murmeln, er handelt nicht, er unternimmt nichts, das die Bedrohung abwenden könnte, er redet nur, erzählt nur eine Geschichte. Aber das bewirkt, dass der Clan sich besser fühlt, obwohl sich nichts geändert hat, der Winter tobt nach wie vor draußen um die Sodenwände, die Sonne erscheint nach wie vor nur als eine Ahnung von Helligkeit am Horizont. Aber es geht ihnen besser.
    Das soll Severinus sein in meiner Vorstellung, und sein Chronist Eugippius soll es auch sein. Sie wenden die Not und die Bedrängnis nicht ab, doch sie bewirken, dass die, die ihnen zusehen und zuhören, wie sie die Ödnis und Tristheit rundherum sachte sachte wegwischen mit ihren Besen, die da heißen Verzauberung und Bezauberung und Wundertat, sich auf einmal gut fühlen. Nichts ist gut geworden, aber wir fühlen uns gut. Dieses Kunststück der Meistererzähler der Hasenfellmenschen sollen die Personen meiner Doppellandesausstellungsgeschichte bewerkstelligen. Aber sie tun es nicht. Darum will ich hinaus aus dieser Geschichte. Und darum ist es keine Lüge mehr, wenn ich sage, dass ich in ihr drinnen bleibe wegen der Honoraranweisungen meiner Auftraggeber.
    Der Onkel, sagte ich, der mit meinem Namen.
    Ja, sagte sie, was ist mit ihm?
    Ich habe zu Hause in der Fotoschachtel gestöbert.
    Ach Gott, die alten Bilder.
    Dann schwieg sie und schaute ins Freie. Früher hat man da in einen Park gesehen, Kieswege in gepflegtem Rasen, alte Bäume, ein weiß gefärbeltes Betonviereck mit einem großen roten Kreuz in der Mitte, das war der Hubschrauberlandeplatz. Heute stehen in der Wiese mehrstöckige Bettentrakte im Allerweltsarchitekturstil. Als Kohl in Linz war, stand das Irrenhaus mitten in der Stadt, in einem schönen Barockstift, das heute die Musikschule der Stadt beherbergt, in Rufweite von Brucknerhaus und Lentosmuseum. Kohl hatte

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