Das leere Land
prunkloser Kürze sowie sang- und klanglos auf den Hauptplatz von Linz gelangend. Wo sie doch die eigentliche Westeinfahrt nehmen, also über Rufling und Leonding Linz erreichen sollten, um über die zugegeben eher mickrige Prachtstraße der Lieblingsstadt des Führers einen Triumphzug zu veranstalten und als Höhepunkt des bejubelten Einmarschs den Adolf-Hitler-Platz zu betreten, der gestern noch Franz-Joseph-Platz geheißen hatte.
Heil, Heil, Heil, brüllten sie der Militärmaschinerie zu, die sich als endlose Kolonne über die neue Bundesstraße wälzte. Stundenlang standen sie draußen, an dem Eck, wo dann das Lagerhaus war und heute die Einfamilienhaus-Siedlung ist, und warteten. Auf ihn. Aber er kam nicht. Der Führer war nicht, wie die Dorfbewohner angenommen hatten, in Passau in seine neue Provinz eingereist, sondern in seinem Geburtsort. Am schönen Inn. Und von dort dann auf der Bundesstraße 1 über Wels und Marchtrenk nach Linz gekommen, spät, sehr spät, die Nacht war schon angebrochen, dennoch harrten die Massen aus am barocken Platz an der Donau.
Bei der Ortstafel begann irgendetwas zu bröckeln in mir; ein Bauwerk, das dies alles ferngehalten hatte, löste sich auf, in kleinen Zeitlupen-langsamen Schritten. Sconhering. Ing des Sconher. Platz, an dem der germanische Clanführer Sconher seinen Speer in den Boden des fruchtbaren Uferschwemmlands gestoßen hatte. Gleichsam das Land penetriert hatte, gevögelt, mit dem Akt des Eindringens in Besitz genommen. Dabei hatte er gekreischt, hier sei das Unsrige. Und gleich darauf hatten ihm die Krieger des Stammes wohl in die Hand geschworen, man würde diesen Ort, der unser ist seit ewigen Zeiten, verteidigen gegen jeden Feind. Vor allem gegen die slawischen Bauersleute, die sich auf dem nahen Kürnberghügel seit geraumer Zeit festzusetzen begonnen hatten. Nicht dauerhaft, wie die Geschichte zeigen sollte.
Am Tag nach meiner Landung in Schwechat hatte ich meine Mutter angerufen, noch von Wien aus. Dass ich noch nicht recht wüsste, wo genau mich meine Arbeit hinführen würde, hatte ich gesagt. Sollte ich in die Nähe von Linz kommen, würde ich mich melden. Sie verstünde das, hatte sie gesagt, mit der Duldsamkeit in ihrer Stimme, die mich immer noch rasend machen konnte, die Arbeit gehe schließlich vor. Dann sagte sie die fünf Wörter, mit denen sie immer schon ihre Umwelt manipuliert hatte, indem sie ihr Schuldgefühle aufzwang. Wegen mir brauchst du nicht. Das sind die fünf Wörter. Sie spricht sie aus, schaut dann zu Boden, bricht ab, lässt den Angesprochenen in seinem Kopf den Satz ergänzen, was bewirkt, dass er sich sehr unbehaglich fühlt. Wegen mir brauchst du nicht in dein Elternhaus kommen während deines Kurzbesuchs, lautet der vollständige Satz in meinem Fall.
Dann das gestrige Telefonat. Dass ich in Linz sei, sagte ich, ohne zu erwähnen wie lange schon, und demnächst nach Passau fahren werde. Da wolle ich auf einen Sprung vorbeischauen. Ist gut, sagte sie, und: Soll ich was einkaufen? Nein, keine Umstände wegen mir, sagte ich. Wir redeten kurz über den Grund für meine Anwesenheit in Österreich, da sei doch diese große Severin-Ausstellung gewesen in Enns, vor zehn oder zwanzig Jahren, sagte sie, sie sei damals mit dem Pensionistenverband hingefahren. Sei aber nicht besonders aufregend gewesen, in ihrer Erinnerung. Bis morgen, sagte ich, und legte auf.
Ich fuhr langsam durch das Dorf, um zu sehen, was sich verändert hatte. Auf dem Parkplatz des Wirtshauses hielt ich an. In dem Anbau aus den siebziger Jahren hatte ich meine erste eigene Wohnung gehabt. Der erste Schritt, aus dem Dorf wegzukommen, war ein sehr bescheidener gewesen, reichte nicht einmal über die Grenzen des Ortsgebiets hinaus. Im Innenhof des Wirtshauses, das irgendwann einmal in Fadingers Zeiten ein imposanter Vierkanthof gewesen war, hat das Dorf den Ekel der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts im Schnelldurchlauf abgehandelt.
Die Heimwehrjugend verpasste den illegalen Nationalsozialisten eine Abreibung in diesem Hof, zwei Jahre vor dem Einmarsch des Führers. Die Illegalen waren allgemein bekannt, einmal in der Woche trafen sie sich in einer Sandgrube außerhalb des Dorfes, die einem deutschnationalen Bauern gehörte, und hielten ihre Übungen ab, über die das ganze Dorf munkelte. Die christlichsozialen Heimatschützler trieben an einem schönen Sommertag die Nazis zusammen beim Dorfwirten, einen nach dem anderen holten sie aus ihren Wohnungen und
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