Das leere Land
Knechtsstuben.
Einer von den Braunhemden versteckte sich vor den Schwarzen auf dem Heuboden jenes Bauernhauses, in dem ein Jahrzehnt später mein Vater seine erste eigene Wohnung mietete. Jemand musste ihn verraten haben, die Heimwehrhorde stürmte den Heuboden, mit Bajonetten stachen sie den Nazi heraus aus dem Heu, trugen den Schwerverletzten zum Dorfwirten, damit auch er die Dresche in Empfang nehme. Dann begann das Misshandeln im Innenhof, Ohrfeigen waren noch das Mindeste, schwere Prügel setzte es, Bajonettstiche, Hiebe mit dem Ochsenziemer. Gerade dass es keine Toten gab. Die Nazis, so sie noch gehfähig waren, schlichen heim wie getretene Hunde. In ihren Augen Hass. Jeden einzelnen Namen der Prügeltruppe merkten sie sich, auch von denen, die nicht aus dem Dorf stammten.
Woher ich das weiß? Mein Vater hat es mir erzählt. Ich habe den Verdacht, dass er bei einer der Prügeleien selbst dabei war. Erzählt hat er die Geschichte oft, nur einmal habe ich ihn gefragt. Warst du dabei? Nein, nein, sagte er und winkte heftig ab. Es habe Prozesse gegeben, nach dem Krieg, zu dieser Sache. Die habe er sich angesehen. Man habe damals ja keine Unterhaltung gehabt, wie ihr heute, sagte er und redete von etwas anderem.
In ihrer Wohnung roch es anders, als ich erwartet hatte. Nicht so sehr nach alten Menschen. Sie hatte eingekauft, auf dem Herd köchelte es in zwei Töpfen. Meine Lieblingsspeise als Kind. Eierteigwaren und Tomatensoße. Die Soße war um eine Spur zu viel gezuckert. Ich sagte es ihr nicht, lobte ihre Kochkünste. Sie selbst aß nichts, während ich die hörnchenartigen Nudeln aus der Tomatenbrühe löffelte, blätterte sie in einer Zeitung.
Ist schlimm mit der Tabakfabrik, oder?, sagte sie.
Was ist mit der Tabakfabrik?
Sie sah mich an wie früher immer, mit diesem Blick, der Unentschiedenheit ausdrücken soll, ein Schwanken zwischen Verwunderung und Sorge. Zugesperrt wird sie, sagte sie. Und begann ein wenig zu schimpfen über die Zeiten; alles was einen Wert besäße, würde verschleudert, die Engländer hätten einen ungeheuer enormen Gewinn gemacht, die hätten den Kaufpreis hereingebracht in nur sechs Jahren, und der Verkaufserlös, den sie jetzt von den Japanern bekommen, sei der reine Gewinn. Mehrere Milliarden, rief sie zwei oder drei Mal hintereinander, mehrere Milliarden! Und die Angeschmierten seien wie gehabt wir, die Österreicher. Ausgenommen natürlich die österreichischen Politiker, fügte sie rasch dazu, die würden es sich immer richten.
Etwa eine halbe Stunde lang saß ich danach neben ihr im Wohnzimmer. In dieser Ecke hatte mich mein Vater beim Rauchen erwischt, als ich vierzehn oder fünfzehn war. Das Haus war damals noch halb fertig im Rohbau gestanden, ein Wochenende lang hatte er ganz allein die Wände dieses Zimmers in die Höhe gemauert, mit mir als Helfer, der Mörtel anrührte und ihm die Ziegelsteine reichte. Die Decke sollte am übernächsten Wochenende betoniert werden. Irgendwann ging er ins Dorf, um ein Werkzeug zu holen, das er brauchte zum Einmauern des Fensterrahmens.
Ich lehnte an der rohen und vom Mörtel noch sehr feuchten Ziegelwand in jener Ecke, wo dann die Couch stand und heute noch steht, und zündete mir eine Zigarette an. Und noch eine, weil er so lange nicht kam. Plötzlich stand er auf den obersten Sprossen der Leiter, die in den Rohbau führte, und sah mich an. Ich schnippte die Zigarette durch das für das Wohnzimmerfenster vorgesehene Loch in den Matsch hinaus. Er tat, als hätte er nichts wahrgenommen. Nie haben wir über diesen Augenblick gesprochen. Als ich sechzehn wurde, schenkte er mir ein Gasfeuerzeug, was damals etwas Besonderes war, und ein Zigarettenetui aus Kunstleder.
Sie hatte Weißbrot besorgt und abgekochten Topfenkäse, den ich so gemocht hatte als Kind. Ich überlegte, ihr zu erklären, dass ich den abgekochten Käse geliebt hatte, wie ihn die Bauern selbst herstellten oder wie es ihn gegeben hatte in dem Ausflugsgasthaus an der Donau, das dann dem Kraftwerksbau hatte weichen müssen, nicht aber das jenem Käse nur entfernt ähnelnde Industrieprodukt, ließ es aber bleiben. Sie entschuldigte sich wortreich dafür, dass sie mir simples Weißbrot vorsetzte und nicht jenes mit der festen Rinde und den vielen Aniskörnern, das der örtliche Bäcker jeden Samstag als Besonderheit für die Sonntagsjause gebacken hatte. Der alte Bäckermeister sei gestorben, oh, sagte ich, ja, vor Jahren schon, sagte sie, und dass sich seine Söhne die
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