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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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erstaunt, weil da einer auf einmal so laut brüllt. Skeptisch und spöttisch stoßen sie einander an, grinsen ein wenig, setzen sich aufrecht, neugierig, was der Alte noch zu sagen haben wird. Da stolpert ein Greis in die Basilika, kaum verschorfte Schwertwunden an Armen und Gesicht, die Kleider zerfetzt, er fällt auf die Knie, beginnt ein Schreien und Kreischen, dass es einem das Herz erweicht. Asturis ist ausgerottet, weggewischt vom Antlitz der Erde! Genau wie vorausgesagt vom Heiligen Mann! Dann fällt der Alte nach vorn, sein malträtiertes Antlitz schrammt über den staubigen Steinboden, sein Schreien dünnt aus zu einem Jammern und Plärren, ein Wimmern des Dankes ist es: Nur mit Gottes Hilfe bin ich entkommen, als Einziger.
    Nun aber erschauern die Tullner und flehen Severinus wortreich an um Vergebung etwaiger Sünden, drei Tage fasten sie in der Kirche und büßen für ihre Verirrungen unter Seufzen und Wehklagen. In tiefer Nacht des dritten Tages, die kollektive Zerknirschung und Buß-Übung hält nicht nur unvermindert an, sondern wächst stündlich, ja, minütlich, weil sich vor den Toren Tullns Barbaren versammeln, feindliche sind es, Eugipp nennt wieder keine Stammesnamen, aber deutet an, dass die barbarischen Besatzer und vermeintlichen Beschützer der Stadt mit den Feinden draußen unter einer Decke stecken, an diesem dritten Tag also geschieht die dritte Wundertat des Heiligen Mannes. Plötzlich poltert und wackelt alles in der Basilika. Die Erde bebt! Es ist nur ein leichtes Beben, das keine Schäden an Gebäuden, Menschen und Nutztieren anrichtet, doch es genügt, die Barbaren in Tulln in eine heillose Panik zu versetzen. Planlos stürzen sie hinaus in die Finsternis, treffen draußen auf ihre ebenso kopflos herumirrenden mutmaßlichen Kumpane. Die Dunkelheit, die schwankende Erde, das Angstgeheul allüberall versetzt die germanischen Horden in eine rasende Paranoia. Sie erschlagen sich gegenseitig bis zum letzten Mann. Tulln ist gerettet. So sehen Wunder aus.

18
    Jetzt fuhr ich auf ihr, in jener Richtung, die ich so lange gemieden hatte, auf dieser verfluchten Straße. Jener Straße, die seit Jahrhunderten Reisende vorbeiführt an dem Dorf, das ich hasse, in ihren Gespannen, auf ihren edlen Rössern, in ihren gepanzerten Kettenfahrzeugen, zu Fuß oder in ihren Personenkraftwagen. Der Vogelweider war hier entlanggetrabt auf geschmücktem Zelter, in seinem neuen Pelzmantel, gleich hinter den Bewaffneten, die sich um Bischof Wolfger scharten. Kriemhild und Gunther, Gernot, Giselher, und Hagen auf ihrem Zug nach Osten, dem Tod entgegen, an den Hof des Hunnenherrschers, dem Edeka und Orestes dienten. Tausend und wie viele Jahre noch später der Führer mit seinen Truppen, in jenem so ungewöhnlich warmen und sonnigen März.
    Da draußen, wo jetzt die Reihenhaussiedlung ganz dicht an die Nibelungenbundesstraße herangerückt ist, während es dort nur das hässliche Funktionsgebäude der Lagerhausgenossenschaft gegeben hatte, als ich Kind war, an dieser den Strom begleitenden Lebensader des den Donauraum bestimmenden Verkehrsgeschehens standen sie, die Dorfbewohner, und kreischten den Marschierenden ihr Heil, Heil, Heil entgegen.
    Die mit stürmischem Jubel begrüßten Helden der anbrechenden neuen großen Zeiten waren in Wahrheit Idioten, sie hatten sich verirrt in dem zu besetzenden Land, weil das Schuschnigg-Österreich vor einem oder zwei Jahren erst den Lauf der Nibelungenstraße verschoben hatte, weg von der Donau, näher zu den Wohnbauten und Bauernhöfen, hinauf über das von dreißigjährigen Hochwassern bedrohte Niveau. Dieser neue Straßenverlauf war in den Karten der angehenden Blitzkrieger nicht verzeichnet, laut ihren Marschbefehlen sollte die Straße in Alkoven in einer leichten Rechtskurve hinüberführen nach Straßham und dort in die Ochsenstraße münden. Ochsenstraße, was die Lateinlehrer und Freizeitaltphilologen ableiten von Augustenstraße. Via Augusta. Imperiale Militärstraße, zu Ehren irgendeines römischen Kaisers errichtet von den Arbeitstrupps seiner Legionen.
    An jenem 12. März aber sah diese zwei Kilometer östlich von Alkoven zur Heerstraße eines Augustus führende Strecke für die ortsunkundigen Nazikrieger aus wie eine simple Abzweigung von der Hauptstraße, und darum fuhren sie geradeaus weiter, am Dorf meiner Kindheit vorbei, beim Kloster des Heiligen Bernhard von Clairvaux auf die Donau treffend, den Strom entlang und schließlich von der Oberen Donaulände in

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