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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Arbeit nicht mehr antun wollten.
    Nach einem Käsebrot sagte ich, dass ich keinen Bissen mehr hinunterbringen würde. Macht doch nichts, sagte sie, und verschwand in der Küche. Kam zurück mit einem unförmigen silbrigen Klumpen. Sie hatte die Hälfte des Weißbrotlaibs in Aluminiumfolie eingewickelt und die angebrochene Kochkäsepackung dazugepackt. Sie grinste schief und sagte entschuldigend, dass sie selbst zwei Wochen brauchen würde, um das wegzuessen, da würde es vorher schlecht.
    Dann wussten wir nicht mehr, was wir reden sollten. Dass die Städtchen an den Großen Seen ein wenig aussähen wie die Orte im Salzkammergut, sagte ich, nur viel weiträumiger. Nicht so eng verbaut. Dass es überhaupt kein Problem sei, in einer englischsprachigen Gesellschaft zu leben. Dass sich die Bären und Wölfe nur in den Parks herumtrieben, dass die ganzen Geschichten über das wilde Getier, das man vom Auto aus sehen kann, nur die Touristen anlocken sollten. Dass ich allmählich aufbrechen müsse, sagte ich schließlich, wenn ich noch etwas ausrichten wolle in Passau, und stand auf. Sie folgte mir ins Vorzimmer, mit dem Aluminiumbrocken in Händen, den ich auf dem Couchtisch liegen gelassen hatte. Während ich die Schuhe anzog, sagte sie, dass es doch lächerlich sei, in teuren Hotelzimmern zu schlafen, wo doch hier das riesige Haus praktisch leer sei. Ich würde es mir überlegen, sagte ich. Sie drückte mir Brot und Käse in die Hand und ging mit hinunter bis zur Haustür.
    Ich wollte die Eiche entscheiden lassen. Ich fuhr zum Bauernhof am Ortsrand, der jetzt eine Versuchsanstalt der Saatbaugenossenschaft ist, und stellte den Wagen in der Wiese ab. Des Sohnes Rückkehr aus Übersee sollte beginnen mit einer erneuten Mutprobe. Wie einst als Kind hatte ich eine diffuse Angst, als ich die paar Minuten den Hohlweg hineinging.
    Damals forderten die Dorfbuben einander in regelmäßigen Abständen auf zu zeigen, dass man keine Angst vor gar nichts hatte. Man musste alleine zu der Eiche gehen, bevorzugt gegen Abend, wenn es dämmerte. Man musste den Baum berühren, den sie des Teufels Eiche nannten. Man musste ein Büschel Eichenlaub mitbringen, wenn man zurückkam, als Beweis. Frisch musste das Laub sein.
    Etwas stimmte mit der Eiche nicht, was es war, wurde jedoch den Kindern verschwiegen. Es war so wie mit einem Gespensterhaus, wo jeder weiß, dass es gespenstisch ist und dass man sich fürchten soll, aber niemand weiß warum. Im nahen Nachbardorf gab es einen weiteren auf diese Art Kindern Angst machenden Ort. Wenn man vom Dorfrand aus bis zur Eiche marschiert, dann aber nicht stehen geblieben, sondern einfach den Feldweg weiter gegangen wäre, die Nibelungenbundesstraße gekreuzt und sich wieder zielstrebig Richtung Südwesten über Güterwege und nicht asphaltierte Wirtschaftsstraßen bewegt hätte, dann wäre man zu diesem Gebäude gelangt.
    Und hätte die Silhouette des Schlosses schon von Weitem deutlich umrissen gesehen in der klaren Luft. Für uns aus dem Nachbarort eine Stätte nicht erklärten Grauens. Für die Alkovener Buben nur ein Spielplatz. Sie hatten an die östliche Außenmauer, da, wo sie vor wenigen Jahren erst ein symbolisches Grab angelegt haben, für die Aschenfunde aus der Wiese neben dem Schloss, mit brüchigen, angefeuchteten Ziegelbrocken ein Fußballtor an die Wand gemalt, gegen das sie den Ball schossen, Nachmittage lang.
    Ich werde die Eiche sprechen lassen in meinem Text. Sie soll die Kommentarstimme sein im Aufsatz. Damit das alles nicht so trocken bleibt. Sie soll mit ihrer Gstanzl-Lustigkeit machen, dass das vermeintlich Festgefügte und Unumstößliche zu flirren beginnt. Dass Gewissheiten ungewiss werden. Und sie soll wie ein zu einem tausendjährigen Pflanzenbewusstsein geronnener Algirdas Greimas Wacht halten über meine Worte, damit sie nicht nur dies und das in allzu großer Glätte und Eindeutigkeit erzählen, sondern auch die tausenderlei Repräsentationen und Konstruktionen miterzählen, all das Zeugs über und unter den Wörtern. Auf dass die Welt erzählbar bleibe.
    Ich werde die Teufelseiche die Abkürzungen verkünden lassen. In Spenserstrophen soll sie auf acht Zeilen zu je elf Silben die Leserinnen und Leser von den rugischen Räubern und Geiselnehmern und den von ihren Kriegsherren verlassenen hilflosen Legionären des versinkenden Imperiums auf dem kürzestmöglichen Weg zu Sadr City führen. Von den von einem gnadenlosen Gott besessenen coloni romani zu den von einem

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