Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
Vom Netzwerk:
nämlich Wundertaten in der Überlieferung des eifrigen Chronisten Eugippius, kommt Severinus ein höherer Rang zu. Der eines Heiligen. Sanctus Severinus, Seher von Noricum, Retter der Romanen, Heimführer der heimatlos Gewordenen.
    Seine Geschichte ist das Thema dieses Beitrags, und das Thema der länderübergreifenden großen Ausstellung. Und ob sie will oder nicht, ist die Geschichte des Severinus auch die Geschichte dieses nur vermeintlich aller Geheimnisse baren Landstrichs südlich der Donau zwischen Bayern und Ungarn. Auch sie soll erzählt werden. Und im Idealfall erweitert werden, denn viele schon haben Severinus als Folie benutzt, um die von ihnen als bevorzugt gesehenen Facetten in ein Land hineinzuschreiben: Der fleißige Eugippius, der fromme Peter Dörfler, der elegante Alexander Giese, der kirchentreue Rudolf Zinnhobler, der Perikopenschwindeleien und Legendenbildungen dekonstruierende Friedrich Lotter. Möge der vorliegende Text im Geiste dieser Vorläufer das Thema erweitern und vertiefen!
    An das Ende des Prologs setzte ich eine Fußnote, schrieb dazu: Eventuell noch ergänzen mit Lotters Überlegungen über Mirakellegenden. Sprich: Entstehen Heiligenlegenden aus kollektiven Anfällen von übersteigertem Lokalpatriotismus? Oder aus Gründen von Macht- und Herrschaftsverfestigung? Oder aus dem natürlichen Interesse einer homogenen gläubigen Menschengruppe an außergewöhnlichen und anrührenden Vorkommnissen, in denen sich aus den fernsten Vergangenheiten hereinreichende Wünsche und Hoffnungen zu verwirklichen scheinen? Braucht der Mensch überragende Persönlichkeiten, um die ihn und seine Existenz bedrohenden Naturgegebenheiten, Nöte, Gefahren, den Tod oder einfach nur die Ungewissheit über die Zukunft zu überwinden?
    Nach dem Prolog stieg ich ein in die Geschichte, indem ich die Erzählerstimme parallel laufen ließ zu den Wegen des Heiligen Mannes, ich begann mit meiner persönlichen Annäherung an die Schauplätze der Severinus-Legende, einfach und klar konstruiert, dem zeitlichen Ablauf folgend, wie Eugipp ihn vorgibt, den einzelnen Kapiteln die Namen jener Orte als Überschriften voransetzend, an denen der Heilige seine Wunder gewirkt hatte.
    ASTURIS
    Ein Wanderer, der heute, im späten September des Jahres 2007, bloßen Fußes wie der Heilige Mann eineinhalb Jahrtausende vor ihm, nach Asturis hineinschritte, würde nichts finden von Severinus, falls er annähme, es handle sich bei Asturis um Zwentendorf. Und er würde ebenfalls so gut wie nichts finden, wenn er von der Annahme ausginge, es habe sich um Zeiselmauer gehandelt.
    Den Spuren des Heiligen folgend, schritt ich hinein in beide Ortschaften in der lieblichen Donauebene Niederösterreichs, nein, ich bin nicht geschritten, ich fuhr mit dem Wagen in die Dörfer. Wie jeder es halten möge, ohne Automobil ist ein soziales Leben nicht möglich in diesen Landschaften.
    Und so weiter und so weiter und so weiter, für meinen eigenen Geschmack um eine Spur zu ausführlich beschrieb ich die öden Bundesstraßen und die noch öderen Gemeindestraßen, in die man abzubiegen hat, um die Dörfer zu erreichen, und die öden Bauwerke, die jene Straßen säumen. Und richtete den Fokus auf plausible Gründe, die einen dazu bringen könnten, als Tourist in solche Kaffs zu reisen. Das Ruinenbauwerk des Atomkraftwerks im Falle Zwentendorfs, in jenem Zeiselmauers der Körnerkasten, und natürlich der erhabene Sänger, der von der Vogelweide. So fing mein Aufsatz an über Severinus. Ich habe meine Notizen in meinem einstigen Kinderzimmer in den Laptop getippt, eine Weile herumkorrigiert an den eineinhalb Seiten. Am Morgen habe ich den Text an den Sprecher meiner Auftraggeber gemailt.
    Natürlich war das alles gelogen. Das war nicht ich, der das geschrieben hat. Der um ein lächerlich geringes Entgelt zu mietende Auftragsschreiber hat das geschrieben. Der beschriebene ist nicht der wahre Severinus. Weil aber meine Auftraggeber und, wie ich fürchte, auch meine zukünftigen Leser das Nicht-Wahre wollen und das Erlogene, habe ich es gespeichert sowie auf einen USB -Stick und auf den MP3 -Player kopiert, den ich immer bei mir führe, damit die Arbeit nicht verloren geht, wenn Einbrecher oder diebisches Reinigungspersonal meinen Laptop entwenden, oder wenn mein Elternhaus, oder das Hotel, in dem ich schlafe, und damit mein Zimmer und meine Habseligkeiten einem Brand zum Opfer fallen.
    Eine halbe Stunde nach dem Eintreffen der Mailnachricht des Sprechers

Weitere Kostenlose Bücher