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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Quere, wie er es den amerikanischen Heuchlern mit einer nur ganz leicht von Wut und Zorn bebenden Stimme entgegengeheult hatte. Ihr mit eurem Gott auf eurer Seite!
    Nur dass der blutjunge Bobby Zimmerman reale Personen und Zustände anheulen konnte, damals, in jener Freitagnacht des Jahres 1963 in der Town Hall von New York City, als er seine zornige Klage erstmals der Welt ins Gesicht brüllte, am Todestag des Heiligen Julius, jenes gütigen Papstes, der mit größter Schärfe den Irrglauben der Arianer verfolgt hatte. Während ich nur die Figur einer Heiligenlegende als Gegenüber habe, und deren lügnerischen Chronisten, beide seit eineinhalb Jahrtausenden zu Staub zerfallen. Und nur den Bildschirm meines Laptops verächtlich auslachen kann, wenn der Lügner die Legende sagen lässt, dass die Mauterner Romanen getrost unbewaffnet gegen die germanischen Räuberhorden losziehen könnten und dennoch siegreich heimkehren würden, denn die übermächtige Zahl der Feinde und deren überlegene Bewaffnung brächte diesen nichts, absolut nichts Vorteilhaftes ein. Denn wir Mauterner haben Gott auf unserer Seite!
    Der Herr wird für euch kämpfen!, kreischte Severinus auf dem Hauptplatz von Favianis, das zweite Buch Mose zitierend, jenen Moment, als der Überbringer der Gesetzestafeln die Israeliten angeschrien hatte, sie sollten endlich all ihren Mut zusammennehmen und ausziehen aus der ägyptischen Sklaverei, und zwar ohne Furcht, denn sie hätten nicht mehr zu tun als zu schweigen und zuzusehen, wie Gott an ihrer Stelle kämpfen würde. Und siehe da, so wie der Herr die Soldaten des Pharao hatte ersaufen lassen, so ergriff er auch in den Auen und Sümpfen um Favianis das Schwert, Gott metzelte die Barbaren nieder, metaphorisch gesehen natürlich, Gott machte, dass sich das heidnische Gesindel in die ledernen Wickelhosen schiss, nicht seine Schilder und Schwerter und Lanzen packte, widerstandslos sich erschlagen oder gefangen nehmen ließ.
    Wie schreibe ich in den Aufsatz, dass es nicht Gottes Werk war, sondern ein politisches Geschäft, das sich da im Schlamm und Dreck vor Mautern abgespielt hatte? Eugippius überliefert es ohnehin, nur interpretiert er es eben nicht als das, was es ist. Der Heilige Mann hatte dem Mamertinus am Ende geraten, das letzte waffenlose Häufchen der Barbaren nicht zu erschlagen, sondern als Gefangene in das Kastell zu bringen. Dann verwöhnte er die sogenannten Räuber mit Speis und Trank und ließ sie frei. Und gab ihnen die Mahnung mit auf den Weg, niemals mehr aus Raubgier nach Favianis zu kommen, ansonsten werde sie das himmlische Strafgericht treffen.
    Da steht es ja, bei Eugipp: Die Romanen bekämpften die Barbaren mit ihren eigenen Waffen, sie nahmen Geiseln, und sie gaben sie erst wieder frei, nachdem diese zugesichert hatten, sich weiterer aggressiver Akte zu enthalten. Durch gezielte feindselige Handlungen erzwungene Friedensverhandlungen nennt man das, Waffenstillstandsvereinbarungen, temporäre Friedensverträge. Und Severinus war dabei der Befehlshaber. Der Chronist nennt es lieber ein Wunder.
    Wie er auch die Sondierungsgespräche des Rugierkönigs Flaccitheus mit dem Vertreter der römischen Macht zu einem Mirakel macht, und den Heiligen Mann zu einem himmlischen Orakel von so großer Strahlkraft, dass sogar die arianischen Barbaren die Kompetenz der katholischen norischen männlichen Pythia bedingungslos anerkannten.
    Das Flaccitheuswunder ist dermaßen platt konstruiert, dass ich es nicht in den Aufsatz nahm. Weil ich es mir nicht hätte verkneifen können, diese Lachhaftigkeit zu kommentieren im offiziellen Aufsatz, und nicht nur im Gegenbericht. Und auch, weil es mir zu mühsam erschien, die Vorgeschichte zu erklären, ohne die jene Passage in der Vita Sancti Severini nicht zu verstehen ist. Ich wollte mich einfach nicht mit der Mühe belasten, diese so komplizierte Geschichte kurz, einfach verständlich und auch noch unterhaltsam auszuformulieren.
    Gewesen war es so: In den Wirrungen und Verwicklungen des Verschwindens der hunnischen Armeen nach dem Tode Attilas hatte es ständig wechselnde Koalitionen gegeben, kurzlebige Bündnisse, strategische Partnerschaften, deren Partner in kurzer Folge die Fronten wechselten und wieder wechselten und wieder wechselten. Die ihres gottgleichen Führers verlustig gegangenen Hunnen gegen die Germanenstämme, Germanen gegen Germanen, dazwischen die Römer, nein, noch komplizierter, Ostrom, das unter Kaiser Leo dem Ersten ein eigenes

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