Das leere Land
Publikum zu einem zustimmenden Kopfnicken zu bringen, oder zu einem Staunen ob der Kühnheit, mit der der Autor in einer gewaltigen Geste großartige Zeiten und großartige Räume und großartige Persönlichkeiten zusammenfasst. Giese wäre der geeignete Mann gewesen.
Der Sprecher der Auftraggeber redete herum, murmelte etwas von möglicherweise zu großer Belastung, er sei schließlich doch schon ein Herr in den besten Jahren, wenn Sie verstehen. Ich verstehe nicht, sagte ich, und fragte, ob sie Giese überhaupt gefragt hätten. Da sagte er hastig etwas von gewissen Details in der Biografie des verehrten Autors, die seine Auftraggeber – nun ja, nicht wirklich goutierten, und darum habe man von Giese abgesehen und sich für ein unbeschriebenes Blatt entschieden, also für mich. Mehr könne er eigentlich dazu nicht sagen.
Seine Kommentare im Severinus-Roman, die er immer wieder einstreut wie den inneren Monolog eines von Selbstzweifeln gequälten Lehrers, lassen auf einen sehr konservativen Menschen schließen, sagte ich, da müsste Giese bei den Landeshauptleuten der an der Ausstellung beteiligten Länder gut ankommen, die ja beide dem konservativen Lager angehören. Andrerseits lässt die Tatsache, dass er in den siebziger Jahren beim staatlichen Rundfunk Karriere gemacht hat, darauf schließen, dass er den Roten zugerechnet wird, oder zumindest wurde, und dass ihn deswegen die Schwarzen nicht haben wollen als Autor. Habe ich recht?
Selbst wenn er könnte, würde er dies nicht kommentieren, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber.
Ist es, weil er Jude ist?, fragte ich. Oder mit hoher Wahrscheinlichkeit Freimaurer? Ist das den Landeshauptleuten ein Dorn im Auge?
Sie neigen ein wenig zu Paranoia und Verschwörungstheorien, oder?, sagte er, und dass er meine letzte Frage nicht beantworten werde. Dann legte er auf.
Und ich strich weiter Sätze an in Dörflers Roman, Passagen, in denen er den heiligen nordischen Mann als zu Höherem gewandelten Edelmensch ausstellt; erleuchtet, weise, mit festem Weg und klarem Ziel lässt er ihn durch die Niederungen Karthagos wandeln und sich fragen: Sind die stinkenden wiederkäuenden Kamele mit flammenden Augen in bösen Gesichtern das Minderwertigste in dieser Stadt, oder sind es die zwischen den Herden im Dreck lagernden Neger, Araber, Barbaren, deren einzige Aufgabe es zu sein scheint, zu brüllen und zu schreien.
Etwas stimmte nicht. Am Abend öffnete ich die Wikipedia-Seite zu Dörfler wieder einmal. Der Satz war unverändert, und er war klar und unmissverständlich: Peter Dörfler wurde unmittelbar nach Kriegsbeginn von den Nazis mit Schreib- und Publikationsverbot belegt. Aber warum hatten die Nazis diesem Mann das Schreiben verboten, aus dessen Buchseiten einem immer wieder gleichsam ein kreischendes Heil, Heil, Heil entgegenplärrt. Warum ließen sie einen nicht publizieren, der ihre Sprache geschrieben hatte, und ihre Gedanken gedacht, noch 1948, als der Seher von Noricum erschienen war?
36
Japaner haben jetzt die Tabakfabrik gekauft, sagte meine Mutter, zuerst die Engländer, jetzt die Japaner. Ja, sagte ich, wir haben schon geredet. Die Heuschrecken holen sich alles. Welche Heuschrecken?, fragte sie. Nichts, sagte ich. Es ist wegen meiner Arbeit. Der Heilige. Die Gegend um Kuchl hat er einst befreit von einer Heuschreckenplage.
Kuchl bei Salzburg?
Ja.
Aber geh, sagte sie und lächelte. Wie soll es denn da so viele Heuschrecken geben, dass man von einer Plage reden kann?
Gute Frage, sagte ich.
Der Heilige Mann, oder eigentlich die Versöhnung Gottes mit den Menschen, bewirkt durch den Heiligen Mann, hatte einst die Heuschrecken vertrieben aus Cucullis. Oh du Gott der Versöhnung, warum vertreibst du nicht locustae migratoriae japonsiae aus dem Kastell Lentia, wo sie sich hermachen über die Tabakernten unserer Provinzen und sich den Fruchtgenuss aneignen. Und sich nicht einkriegen können vor Lachen über die norischen Idioten des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die nicht nur ihre Felder nicht schützen, sondern auch noch Lockstoffe auslegen für die gefräßige Horde, ein donnerndes Lachen bebt durch den ganzen Schwarm nach seinen Raubzügen über diese unsere heimischen Felder, denn hier fleht man ihn an, alles leer zu fressen, während er sonst doch bekämpft wird mit Feuer und Lärm allüberall, urbi et orbi.
Mit verderblichem Biss vernichteten sie alles auf den Feldern um Kuchl, schreibt Eugipp. Natürlich wandte man sich mit inständigen Bitten an den
Weitere Kostenlose Bücher