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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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ins Handy, dann reagierte die Gemeinde von Kuchl eigentlich so, wie es heutzutage hilflose sozialdemokratische Regierungen nach Heuschreckenangriffen tun. Sie machen aus den Modernisierungsopfern Sozialfälle. Sie gewähren ihnen ein Grundeinkommen, befristet und bedarfsorientiert, natürlich. Der Kuchler Bealmoste fühlte sich durch dieses Bealmostwerden schuldig und dankbar zugleich; ebenso getadelt wie bereichert, weil er gesehen hat, schreibt Eugipp, welch großen Schaden Unglaube anrichtet und welche große Wohltat Gottvertrauen. Nur derjenige, der aus der ganzen Sache als Einziger Gewinn gezogen hat, der zieht weiter mit einem großen Gelächter, das empordonnert bis zu jenem Gott, der seinen Heiligen gesandt hat, um die Verlierer ruhigzustellen: der Schwarm, die Ansammlung der nur träge und schwer fliegenden Lokusten, die Bäuche brechend voll von ihrer Beute.
    Bitte keine Heuschreckensymbolik im Aufsatz, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber.
    Bei Kohl kommen keine Heuschrecken vor, sagte ich. Wie auch. In den feuchten Wäldern um die Großen Seen Nordamerikas finden weder die ägyptische Heuschrecke noch die gefürchtete gefräßige Wüstenwanderheuschrecke einen erträglichen Lebensraum. Überhaupt kommt die Heuschrecke in den Mythen der Indianer kaum vor, allenfalls im Süden, in heißen sandigen Gegenden. Es gibt da eine Zunilegende, wo der Trickster Coyote glaubt, eine ihn narrende Schrecke zerkauen zu können, doch als er zuschnappt, beißt er sich einen Zahn aus an einem Stein. Und dann narrt ihn das dürre Tierchen mit einem Lied. Tschumali, tschumali, schohkoya, Heuschrecke, Heuschrecke, spiel auf der Flöte!
    Wie gesagt, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber, bringen Sie die Heuschrecken rein in ihrer biblischen Dimension, und streifen Sie Kuchl nur am Rande. Halten Sie sich in diesem Fall eher an Dörfler denn an Giese.
    Was ist mit dem Kerzenwunder zu Cucullis?, fragte ich.
    Welches war das gleich?
    Wie dem heiligen Mann zu Ohren kommt, dass etliche Kuchler noch ihre heidnischen Bräuche pflegen, Giese schmückt das außerordentlich farbig und üppig aus, die ganze inneralpine Brauchtumswelt von Glöcklerläufen und Perchtentreiben lässt er plastisch entstehen vor unserem Leserauge, und wie der Heilige Mann, um die noch immer dem Götzendienst huldigenden Kuchler zu ertappen und zu verdammen mit der Macht seines Wortes, die ganze Gemeinde in die Kirche zitiert, und ihnen befiehlt, je eine Kerze in Händen zu halten. Dann Gebet, Anrufung des Herrn, großes Severinus-Theater, wie gehabt. Und siehe da: In den Händen der Gläubigen entflammen die Dochte der Kerzen von Gottes Hand, in jenen der verstockt das Heidentum Pflegenden nicht.
    Ah ja, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber, ich weiß. Dieses Wunder lassen wir vielleicht ganz weg. Einfach wegen des Problems der Zielgruppenverfehlung. Perchtenlauf und Glöcklerumzug gehört heutzutage zu unserem kulturellen Erbe, das auf uns gekommen ist von den Urahnen und in dem wir ruhen im Wissen um die Verbundenheit mit den Naturgewalten, und so weiter. Und dann ist der Kern dieses Wunders irgendwie ungustiös, finden Sie nicht, irgendwie ausgrenzend.
    Zinnhobler wertet es als eine Art von Erweckungsgeschichte, sagte ich, so wie das sichtbare Licht der Kerze das Wachs zu Flammen schmelze, löse das unsichtbare Licht den Unglauben der Heiden auf. Wobei Eugipp nichts von einer Erweckung Ungläubiger oder gar ihrer Bekehrung berichtet, er schildert lediglich, wie sie gestanden, im Geheimen Götzendienst auszuüben, und wie sie versuchten, sich zu rechtfertigen.
    Wir lassen es weg, sagte er, dann verabschiedete er sich.
    Der Rasen gehört noch einmal gemäht, sagte meine Mutter, als wir mit dem Frühstück fertig waren. Wenn man die Halme zu lang lässt vor dem Wintereinbruch, wird es hässlich im nächsten Jahr. Sie fragte vorsichtig, ob ich nicht den Mäher aus der Garage holen und ihr diesen Gefallen tun könne. Der Nachbarsohn verlange jedes Mal fünfzehn Euro. Natürlich, sagte ich, und ging nach unten.
    Nur Gerümpel in der Garage. Den Škoda hatte sie bald nach Vaters Tod verkauft. Am Ende war er auf das tschechische Billigauto umgestiegen, die Rente war einfach zu gering gewesen. Davor immer Audis. Es war ein Zeichen gewesen, ganz bewusst hatte er sich für diese Automarke entschieden. Um es den Bauern zu zeigen. Die Zeiten waren einfacher, es war leicht, Zeichen zu setzen. Einen Audi hielten sich damals nur Beamte der Landesregierung. Beamte am

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