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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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unterhalb des Atomkraftwerks. In der Jausenstation Bärndorfer Hütte trank ich einen Kaffee, vor dem grässlichen Knusperhäuschen-Bauwerk im Stil einer Tiroler Almhütte saßen ein paar Radfahrer an den grob gezimmerten Tischen und blickten hinab auf die Donau zu ihren Füßen. Hinter ihnen die Kraftwerksruine, ganz nahe, und doch so klein und unscheinbar. Harmlos.
    Genau genommen liegt das Atomkraftwerk in dem Ortsgebiet von Bärndorf, und auch Kaindorf ist näher als Zwentendorf, notierte ich in das Notizheft, dann kritzelte ich ein wenig herum, weil mir nichts einfiel zu dieser flachen öden Agrarindustrielandschaft. Beim Ortsnamen Kaindorf denke ich an Kain, schrieb ich, aber nicht an Abels Bruder, sondern an den begnadeten Politiker und Schriftsteller aus Oberösterreich, der sich als Einziger, oder zumindest als einer von wenigen dem von Germanisten und Feuilletonisten verordneten Schreibereibetrieb versagt hatte. Oder ich denke an Kains ebenso großartige Tochter, die Autorin, die nichts konstruiert oder dekonstruiert, sondern lebt was sie schreibt oder schreibt was sie lebt, was immer das heißen mag, ich strich den Satz durch, schrieb, sie meint was sie meint, das will ich sagen.
    Ich bezahlte und ging ein paar Schritte hinunter zur Donau und ein Stück am Ufer flussabwärts. Kroch ein wenig in den Stauden herum auf dem schmalen Streifen zwischen Parkplatz und Donauufer, aber da war nichts, keine Fußspur eines spätantiken Jossakid, nichts von Severinus, und auch nichts von Kampf und Geschrei und wütendem Protest aus den siebziger Jahren. Nur Müll, Plastikfetzen, zerknüllte Packungen von Keksen und Schokoladetafeln, Bananenschalen, zerbeulte PET -Flaschen, sich in Schlamm und Feuchtigkeit auflösende Taschentücher von verdächtiger Farbe.
    Ein alter Mann schlenderte oben auf dem asphaltierten Treppelweg vorbei und rief, ob ich was suchte. Römerzeugs!, rief ich zurück. Vorsichtig und sehr langsam stapfte er hinein in das Gestrüpp, bis er neben mir stand, zeigte unbestimmt in Richtung Süden. Da, wo die Zufahrtsstraße hereingeht zum Kraftwerk, da war einmal etwas, sagte er. Irgendwelches Mauerwerk. Fundamente in den Feldern. Von den Römern. Aber das ist schon lange weg.
    Ein kleines Stück ging ich über die abgemähten Wiesen in Richtung Landesstraße, ohne recht zu wissen, was ich bezweckte, vielleicht hoffte ich, irgendwo eine Erhebung im stoppeligen Gras wahrzunehmen, von der ich mir einbilden könnte, darunter befänden sich Reste von Asturis. In Zwentendorf fragte ich eine Verkäuferin im Sparmarkt, ob sie etwas von Spuren aus der Römerzeit wisse. Schon, sagte sie, da hat es einmal so eine Fotoerkundung gegeben, vom Flugzeug aus. Und ausgegraben haben sie auch immer wieder Sachen, Kleinzeugs, Münzen, Tonscherben. Früher sei da einiges im Zwentendorfer Heimatmuseum gewesen, aber irgendwann einmal habe man das alles in das Niederösterreichische Landesmuseum nach St. Pölten geschafft.
    Ich beschloss dabei zu bleiben, dass dies hier nicht Asturis war, auch wenn die Gemeinde Zwentendorf auf ihrer Homepage wie selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt, zu Beginn unserer Zeitrechnung den Namen Asturis getragen zu haben. Mich beeindruckte diese durch nichts belegte Behauptung nicht. Vom Kraftwerk weg fuhr ich nicht zum Museum in St. Pölten, sondern weiter nach Zeiselmauer und danach Wien. Bei der Durchquerung von Tulln verfuhr ich mich hoffnungslos. Während ich versuchte, mich anhand von Hinweistafeln zu orientieren, die alle in Richtung von Ortschaften zeigten, die in meiner Straßenkarte nicht verzeichnet waren, rief mich der Sprecher meiner Auftraggeber an.
    Wo sind Sie?, rief er.
    Comagenis.
    Ah, Tulln! Und nach einer Pause: Haben Sie schon recherchiert in Tulln?
    Bin gerade angekommen, sagte ich.
    Was halten Sie vom Erdbebenwunder zu Comagenis?, fragte er.
    Interessant, sagte ich. Und schwieg. Obwohl ich gerne mit ihm diskutiert hätte über die Tatsache, dass jene Passage in der Severinus- Vita die Stelle ist, über die die meisten Eugipp-Kommentatoren hinwegpreschen mit auffallender Schnelligkeit. Weil sie niemandem in den Kram passt. Weil sie, wenn man sich darauf einlassen würde, die ganze Durchsichtigkeit und Unhaltbarkeit von Eugipps Schwindelunternehmen sichtbar machen würde. Denn Tulln wurde durch ein Erdbeben zerstört, das in verbürgten Quellen belegt ist, allerdings bereits im Jahr 456, was mit allen denkbaren Einordnungen von Eugipps Erzählung in historische Abläufe

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