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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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unvereinbar ist.
    Tulln müssen Sie jetzt nicht irgendwie groß herausstellen, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber. Tulln mit der Gartenschau und der Bootsmesse braucht eigentlich keine Werbung. Zumindest nicht eine von der Art, die die Doppellandesausstellung darstellen wird, ob sie will oder nicht. Es wäre das falsche Zielpublikum. Wer sich für Severinus interessiert und den Aufstieg und Fall des Imperium Romanum, der kauft keine Motorjachten. Erwähnen Sie Comagenis, natürlich, das Erdbeben, ja, ist ja ein feines kleines Mirakel. Aber schwärmen Sie nicht von Tulln. Zumindest nicht zu ausführlich.

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    Mein Problem mit Dörflers rassistischem Schreiben wuchs. Ich begann, Sätze in seinem Severin-Roman anzustreichen, immer mehr, und immer waren es Beispiele aus den vorderen zwei Dritteln seines Buches, wo er seinen Helden Severinus sich in Afrika herumtreiben lässt, unter dem gleißenden Himmel Karthagos, in den schreiend lauten und hektischen Gassen Alexandrias. Dem verschlagenen Sarmaten fehlt der lateinische Sinn für den Pflug und das Winzermesser, und der Staat ist nicht mehr als ein Raubschiff! Der Sprecher meiner Auftraggeber ärgerte mich mit seinem penetranten Schwärmen für Giese, aus einer Art von kindischem Trotz gegen diese aufdringliche Überschätzung beharrte ich darauf, Dörfler zu bevorzugen.
    Lesen Sie Giese, war das Erste, das er sagte, wenn wir diskutierten über ein Detail aus der Biografie des Heiligen, lesen Sie Giese. Und dann begann er zu jammern, dass der Katalog immer umfangreicher würde, weil alles hinein muss, Hinz und Kunz und Krethi und Plethi müssen berücksichtigt werden, und jeder Bürgermeister jeder an die Donau grenzenden Gemeinde, fragen Sie mich nicht, wie viele das sind. Massenhaft Geleitworte. Unter uns gesagt, sagte er, es wird eine Katastrophe werden, weil die Herren Bürgermeister beziehungsweise diejenigen in den jeweiligen Gemeindeverwaltungen, die eines geraden deutschen Satzes mächtig sind, den immer gleichen Stumpfsinn von sich geben werden.
    Der großen Tradition des Raumes verpflichtet, doch offen dem Neuen, das Europa bringt, in verantwortungsvollem Bewusstsein um die Bedeutung des gewaltigen Wasserwegs, der immer schon ein Weg war und einer sein wird, der den Kontinent vereint, nein, den Kontinent und seine Menschen vereint, ich sehe sie schon vor mir, diese Unzahl an bürgermeisterlichen Grußworten. Wie elegant dagegen der Stil Gieses!
    Also las ich Giese: Ich muss die Nacht und den Morgen beschreiben, an dem die Welt zusammenstürzte.
    Und las Dörfler und bevorzugte ihn und begann mich gleichzeitig zu ekeln vor der Geisteshaltung des bescheidenen Priesters. Ich saß auf einer Schotterbank an der Donau in der Gegend von Engelhartszell, am nördlichen Ufer, ich war über die Brücke bei Ranna ins Mühlviertel gefahren, wollte auf dem Boden stehen, auf dem die Feinde gestanden waren damals, die Heruler und die Rugier. In der flirrenden Luft, gesättigt von Mücken und Feuchtigkeit, war ich durch das Unterholz ans Ufer marschiert, voller Angst vor Zecken und Schlangen, und hatte versucht, etwas zu fühlen.
    Mutlos und verzagt, wie ein Romane im Rugiland. Aber Rugiland war leer.
    Ich blieb eine Weile sitzen auf den Steinen und las Dörfler und strich Satz um Satz an. Die von Natur aus demütigen und geduldigen Negersklaven lecken wie geschlagene Hunde voller Dankbarkeit die Peitsche! Wogegen germanische Kriegsgefangene stolz bleiben, aufrecht und im Falle ungerechter Behandlung gefährlich wie andalusische Stiere! Die Alanen schienen Severin wie unnatürliche Zwitter, die germanischen Wandalenweiber, jederzeit sauber und ordentlich, reingewaschen und von edlem Anstand, wollte er lobpreisen Tag und Nacht, und ihre prallen Arme und Schenkel und ihren Kampfesmut besingen.
    Wie es den jungen Severin ekelte vor den Hunnenweibern in ihren wie Fuchshöhlen stinkenden Drecksnestern, Weiber überladen von Schmuck und Schmutz gleichermaßen. Wer wissen will, wie der Teufel aussieht, muss nur ein altes Hunnenweib anschauen! Und dann lässt der Priesterdichter Dörfler einen römischen Veteranen lustvoll schildern, wie er einen Hunnen erstochen hat: ins Herz das Schwert, ins Herz aller Hunnen! Und er urteilt kurz und bündig: Einen Hunnen erstechen, das wird Gott einmal hoch anrechnen.
    Ich fragte den Sprecher meiner Auftraggeber, ob es einen konkreten Grund gebe, warum er mir immer nur Giese anempfehle, ständig dieses Lesen Sie Giese, und von Dörfler

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