Das leere Land
abrate.
Im Prinzip sage ich Ja zu Dörfler, sagte er, aber man muss Rücksichten nehmen. Dörfler könnte Einwände provozieren.
Sie meinen seine Nazisprache?
Googeln Sie einmal Dörfler, sein vor dem Seher von Noricum entstandenes Schaffen, dann werden Sie wissen, was ich meine. Die Auftraggeber der Doppellandesausstellung sind sehr sensibel in Sachen Kritik. Und solche wird zu erwarten sein, und zwar unangenehme, wenn Sie sich zu sehr auf Dörfler einlassen. Halten Sie sich an Giese, was das Literarische betrifft.
Also Giese rein, Dörfler nicht rein? Und natürlich auch nicht Lotter.
Natürlich muss Dörfler vorkommen, seufzte der Sprecher meiner Auftraggeber. Schließlich denken wir auch an den deutschen Gast. Der gesamte Oberlauf der Donau ist Einzugsgebiet der Ausstellung, also muss Dörfler präsent sein im Katalog, und zwar in Ihrem Aufsatz. Ich würde ihn nur nicht zu sehr in den Vordergrund stellen.
Giese ist doch völlig aus der Zeit gefallen, sagte ich, allein das ständige Herumwuseln von irgendwelchen Frauenspersonen um den Heiligen Mann. Noch im Sterben geht das weiter, auf dem Totenbett offenbart in Gieses Version Severinus, dass er in die geizige Procula von Mautern verliebt gewesen war.
In den späten siebziger Jahren ging es nicht anders, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber. Ohne Sex kein Film und kein Roman.
Es geschieht aber kein Sex bei Giese, sagte ich.
Eben, sagte er. Das waren die Siebziger.
Und dann macht er aus Severinus einen für die siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts prototypischen Christenmenschen, sagte ich, der Apostel Noricums ist bei Giese kein Verkündigungs- und Bekehrungsapostel, sondern ein Sozialapostel; und am Ende lässt er ihn beinahe so pietistisch in den Himmel auffahren und sich in den Mantel Gottes auflösen, wie May es mit Winnetou am Ende von Winnetou III getan hat. Die Brüder singen den Abendpsalm bei Giese, die Siedler singen das Ave Maria bei May, in ekelhaft schlechter Neudichtung. Gott ist, das sind die letzten Worte des Heiligen bei Giese, Winnetou ist ein Christ jene des edlen Wilden bei May. Nach einer Pause sagte ich: Und erst das Klassenkämpferische bei Giese!
Es sei das Einzige, was ihn an Giese störe, sagte der Sprecher meiner Auftraggeber. Sein um eine Spur zu aufdringliches soziales Anliegen. Es ist schön, es hat was Romantisches, man möchte gerne, dass die Geschichte wirklich so gewesen sein soll, dass der Mann der Tugend tatsächlich der Sprecher und Befreier der Sklaven, der einfachen Coloni, der Unfreien, der Plebs gewesen sein soll. Aber davon steht nichts in der Vita des Eugipp. Das ist Giese, das sind die Nachwehen von 1968. Da hätte er den Heiligen wohl ein wenig so gesehen, wie die Jesus People damals den Herrn gesehen haben. Ein bisschen Che, Sie verstehen, Commandante Severino, wie einen von diesen Befreiungstheologen lässt er Noricums Seher durch die Wälder stapfen und sich gemein machen mit dem Pöbel und von sozialer Gerechtigkeit reden und von Umverteilung der Güter. Da liegt Giese zweifellos daneben.
Da bin ich ganz Ihrer Meinung, sagte ich.
Verstehen Sie mich nicht falsch, sagte er, es gefällt mir, es hat was Charmantes, es ist ein liebenswerter Zug, und es hat irgendwo auch was Drolliges, wenn der Großbürger Giese den ganz und gar im fünften Jahrhundert verhafteten römischen Großbürgerspross Severin gelegentlich anlegt wie einen Rudi Dutschke der norischen Wälder. Aber in der Broschüre soll diese – nun ja, ein wenig schiefe – Sicht auf den Heiligen und seine Zeit nicht unbedingt im Mittelpunkt der Darstellung stehen.
Es ist ganz in meinem Sinne, sagte ich. Und, nach einer Pause: Die Herren Landeshauptleute würden es nicht sehr goutieren, oder?
Was meinen Ihr Dörfler oder Lotter dazu?, sagte er, meine ohnehin rhetorische Frage ignorierend.
Die hässliche Welt der kapitalistischen Verdinglichung kommt bei diesen beiden nicht vor, sagte ich, spürte seine Sorge, ob sie bei mir vorkommen würde, die Irrung und Wirrung und Umwälzung der Völkerwanderung als Folie, durch die die heutige Wirrsal sichtbar werden möge. Er stellte jedoch keine diesbezügliche Frage.
Ich fragte ihn, warum man eigentlich nicht Professor Giese mit der Abfassung des Aufsatzes zu Severinus beauftragt habe. Da blieb es stumm in meinem Handy. Alleine seine Idee der Severinus-Vorgeschichte im Attila-Lager, sagte ich, die kann man zwar als durchsichtig bezeichnen, durchschaubar, aber sie war offensichtlich geeignet, sein
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