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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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das war mir egal. Ich war bereit zu lügen. Alle Schreibenden lügen. In das Vorwort zu meiner ersten Publikation über Kohl wollte ich eine Schwindelei einbauen, die in Wahrheit keine war, weil sie wahr war. Mein Leben lang habe ich dem verblassten Bild dieses fernen Ahnen hinterher gesucht, formulierte ich. Den Traum vom Polyhistor-Sein, den schon ihm seine Zeit nicht mehr erlaubte, wollte ich wahr machen, solange ich mich erinnern kann.
    Endlich verstand ich meine Wunschwelten, nachdem ich begonnen hatte, nach Johann Georg Kohl bei Google zu suchen und als erstes natürlich Kitchi Gami fand, die Berichte vom Leben der Indianer am Oberen See. Zu den Indianern gehen und mir von ihnen Geschichten erzählen lassen! Ich habe den Modus meines Alltagslebens jetzt höchst befriedigend arrangiert, schrieb Kohl 1855. Tagsüber wandere er durch die herrlichen Landschaften, mitten unter den Menschen, die ihn so sehr interessierten, abends kehre er heim in sein kleines Wigwam, entzünde ein bescheidenes Feuerchen, empfange Gäste, mit denen er über Gott und die Welt palavere. Beinahe täglich lerne er neue Leute kennen, und neue Geschichten, und neues Material für seine Studien. Alles was ich sehe und höre, entzückt mich so sehr, schrieb er, dass ich die Vorbereitungen zum Löschen des Feuers, und wenn es schon Mitternacht ist, mit größter Trauer und Enttäuschung bemerke. Denn alle meine Tage hier scheinen mir zu kurz.
    So wie mein Vorfahr wollte ich sein. Am Feuer sitzen, die roten Männer meine Brüder, Nacht für Nacht traurig werden vor dem Einschlafen, weil die Tage viel zu kurz sind für dieses prallvolle reiche Leben. Und natürlich wollte ich, seit ich lesen kann, Karl May sein, ein erfüllter und geglückter May, nicht der gebrochene, mit einem Freund und Blutsbruder wie Winnetou an der Seite, und unbedingt hätte es natürlich auch eine Nscho Tschi geben sollen.
    Der Verlag nahm das Vorwort damals nicht in das Buch. Der Lektor konnte der Idee nichts abgewinnen. Kohl ist zwar vergessen, sagte er, aber sein Werk ist zugänglich, wenn auch nur unter Mühen. Irgendjemand würde sich die Befriedigung verschaffen, ihre Behauptung aus dem Vorwort nachzuprüfen. Man wird keine Belege finden, man wird Sie einen Schwindler nennen. Ja, sagte ich, und das wird die beste PR sein, die man sich wünschen kann.
    Der Lektor schüttelte den Kopf. Sie hätten meine Zustimmung, wenn es ein Roman wäre, sagte er. Im Falle eines Romans: Ja. Aber im Falle eines Sachbuchs: Nein. Es wäre keine Werbung. Es wäre der Tod des Buches, gleich nach seiner Geburt. Dann verkündete er seine endgültige Entscheidung. Man wolle die Leser lieber im Unklaren lassen, ob ein Verwandtschaftsverhältnis vorliege oder nicht. Das sei viel reizvoller.
    Jetzt, nach der Lektüre des Österreich-Buches meines Ururgroßvaters, war ich noch gewisser. Auf seiner Reise von Linz nach Wien war Kohl einige Tage lang in Oberösterreich gewesen, die genaue Aufenthaltsdauer ist aus seinem Bericht nicht herauszulesen. Sehr wohl herauslesen kann man aber, wenn man gewillt ist, dass er eine Affäre gehabt hatte mit einer Linzer Bürgerin, mit einer der schönsten Frauen der Welt, als die er sie anfangs nicht erkannt, sie dann aber in allen Theatern, Märkten, Plätzen und Kirchen gesehen hatte nach Ankunft seines Freundes. Davor hatte er nur Augen gehabt für die Teppichfabrik und das Irrenhaus und die Jesuiten und die schrulligen Bauern auf den Märkten der kleinen Stadt, die keine fünfundzwanzigtausend Einwohner zählte.
    Nun aber springen sie ihm allüberall ins Auge, Kohl schaut sich um in Linz, auf einmal sieht er sie, die hoch gepriesenen Schönheiten. Ungeniert spricht er sie alle an, fragt sie nach ihren Namen, ihrer Herkunft. Eine blutjunge Frau fällt ihm besonders auf, sie sitzt in einer Kutsche mit Fahrtziel Steyr, vor seinem Wirtshaus, eine halbe Stunde schon vor dem avisierten Zeitpunkt der Abfahrt.
    Kohl gerät ins Schwärmen: Da der Wagen sich nicht von der Stelle bewegte, so saß sie unter seinem an der Seite offenen Dach wie ein schönes Bild da, sie stützte ihren Arm auf die harte Holzlehne des Wagensitzes und blickte halb verlegen, halb schalkisch lächelnd zur Seite. Wahrlich, gerade auf solche schöne feuerige Augen, gerade auf einen solchen mit sanfter Röthe erblühenden Teint, auf solche edle Conturen des zierlichen Gesichtes, und auf keinen anderen als gerade auf einen so schlanken, eleganten Wuchs, wie er uns durch das offene Gestell des

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