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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Aber die Bauerntochter sah noch geiler aus als Emma, wegen der wallenden blonden Haare und wegen des drahtigen Mädchenkörpers, von dem die Brüste abstanden wie harte, feste Kegel. Die Dorfbewohner starrten ihr nach und zerrissen sich die Mäuler, wie man sagt, und die alten Weiber keiften daheim, dass es eine Sauerei sei, die Brustwarzen hätten sich abgezeichnet in allen Einzelheiten. Und ihre Männer nickten zustimmend und dachten an diese Warzen, in allen Einzelheiten.
    Blöde Eiche, dachte ich, erzählst nur Lügengeschichten, kein Kind hat sich gefürchtet vor den Schritten meiner Großmutter auf dem Steinboden im Vorhaus, machst nur Faxen und verdrehst alles und beschwindelst alle, nur kleine Taschenspielertricks und Gaukeleien hast du drauf, wie alle und alles in diesem Land, immer schon, wie es aussieht.
    Geht es dir eh gut?, fragte meine Mutter nach einer langen Pause. Natürlich, sagte ich. In Wahrheit wurde mir in regelmäßigen Schüben kalt, oder es begann mich an allen möglichen Stellen zu jucken. Nach einer Stunde spürte ich nichts mehr, außer einem kleinen Brennen an den Einstichstellen. Sie kam aus der Küche und sagte, dass sie noch einmal mit dem Doktor gesprochen habe. Wenn du aufstehen kannst, ohne dass dir schwindlig wird, bist du nicht allergisch auf Erdwespen. Ich legte die nassen Lappen auf den Tisch und stand auf. Mir wurde nicht schwindlig.

37
    Ich bin davon überzeugt, dass Johann Georg Kohl mein Ururgroßvater ist. Diese verwandtschaftliche Nähe erklärt mein irrationales Interesse an den nordamerikanischen Ureinwohnern plausibler als der letzten Endes nur vage Verweis auf die Karl-May-Besessenheit.
    Sie immer mit Ihrem Karl May, hatte der Sprecher meiner Auftraggeber irgendwann einmal gesagt. Was ist das eigentlich mit Ihnen und May? Ich antwortete nicht. Ich hätte ihm nicht viel mehr sagen können, als dass ich mich dem ebenso verehrten wie verachteten Meister aus dem Erzgebirge ähnlich fühlte. Wegen jener Stelle in seiner Autobiografie, in der er beschreibt, wie mühsam er sich alle Bildung selbst aneignen musste, um Jahre später als Gleichaltrige aus besseren Verhältnissen. Und wie sinnlos und ohne System zusammengewürfelt diese Eigenbaubildung ausgefallen war. Das bin ich. So würde ich meinen Bildungsweg beschreiben. Was ich an May bewundere, ist die trotzige Energie, mit der er all seine Benachteiligungen in Vorteile verwandelt hat. Das bin nicht ich. Aus meinen Benachteiligungen wurden Nachteile. So was kann man nicht erklären, schon gar nicht einem beamteten Sprecher von Auftraggebern.
    Schon gar nicht hätte ich ihm erklären können, wie mich, den Knaben, über Jahre und Jahre kein Mädchen auch nur ansehen wollte und ich mich verloren hatte in eine blinde unsinnige Schwärmerei für die Indianerfrau an sich, Nscho Tschi das ideale Modell. Wie ich überzeugt gewesen war davon, dass irgendwo da draußen in der Wildnis eine kleine, drahtige, dunkelhaarige wunderschöne Wilde mit warmer Bronzehaut auf mich wartete. Dass ich, wenn ich sie endlich gefunden haben würde, glücklich sein würde. Nicht zu erklären so was.
    Darum erzählte ich ihm etwas von der Faszination für die Besessenheit dieses Populärschriftstellers, der unbedingt als ein richtiger Schriftsteller angesehen sein wollte, bei jenen Leuten, die er hasste und verachtete, und von dem wahnwitzigen Bruch in Mays Werk nach seinem Damaskuserlebnis des Skandals um seine Verbrecher- und Gefängnis-Vorgeschichte, als er mitten in einem der üblichen Abenteuerromane Hadschi Halef Omar in ein Koma fallen und die Handlung zum Stillstand kommen ließ und danach den Text weiterschrieb als grüblerische religiös-schwärmerische Hochliteratur, mit untauglichen Mitteln allerdings und viel zu pathetisch, wie sein gesamtes Spätwerk. So etwas gefällt mir, sagte ich. Wie er Seiten um Seiten plötzlich und unmotiviert in klassischen Versmaßen schreibt, Hexameter!, ohne diese als solche kenntlich zu machen. Ich bemerkte, dass mir der Sprecher meiner Auftraggeber nicht mehr zuhörte.
    Doch der wahre Grund für die Indianersache ist Kohl. Als ich den Brief des mir bis dahin unbekannten Verlags gelesen hatte, damals im Millenniums-Jahr, hatte ich es auf einmal gewusst. Ob ich nicht Interesse hätte, über einen Schriftsteller mit diesem Namen zu publizieren, fragten sie an. Natürlich! Das ist mein Ahn. Obwohl ich gestehen muss, dass ich von der Existenz des Johann Georg nichts gewusst hatte bis zu jener Anfrage.
    Aber

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