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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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verständlich aus den scheppernden Lautsprechern kam. I wish I wish I wish in vain, that we could sit simply in that room again.
    Das Allererste, was ich von Dylan gehört hatte, war Man of Constant Sorrow gewesen, da war ich dreizehn oder vierzehn, ein seltenes Ereignis im österreichischen Rundfunk in der damaligen Zeit. Der kennt mich, dachte ich. Und: Der kennt sich aus. Zum Apologeten, unkritisch und vernunftresistent wie all die anderen, wurde ich Jahre später, nach dem Erwerb des Albums Desire . Ja. Your heart is like an ocean, mysterious and dark. Wie abgrundtief und bedeutungsschwer. Ja, desire. Der kennt sich wirklich aus. Und jetzt die miefige Sporthalle, ein knapp zwei Stunden währendes Krachen und Scheppern, in dem nur ab und zu bekannte Textfetzen auftauchten.
    Ich bin noch zu jung, sagte ich mir damals in Linz, darum verstehe ich ihn nicht. Immerhin ist er dreizehn Jahre älter als ich. Danach hörte ich lange Zeit seine Platten nicht mehr und ging auch in kein Konzert. Bis ich überall um die Großen Seen die Plakate sah, gerade erst vor zwei Monaten. Casino Rama Entertainment Center in Orillia, zwei Abende hintereinander. Ich beschloss hinzufahren. Das Orillia Casino ist das einzige Spielkasino in Ontario, betrieben wird es von Indianern. Die Weißen hassen solche Orte, denn den Indianern gibt der Staat Glücksspiellizenzen, die den Weißen verboten sind. Sie hassen die Indianercasinos, und zugleich stürmen sie sie Tag für Tag, weil es sonst keine Roulettetische und Black-Jack-Tische gibt. In Orillia, gelegen zwischen zwei fischreichen Seen namens Simcoe and Couchiching, hatte zu Kohls Zeiten der Hirschclan der Ojibbeway gelebt. Die achthundert Autokilometer von Thunder Bay bis Orillia und die Nacht im Rama Hotel konnte ich also als Dienstreise abschreiben.
    Aber dann wollte ich kein Indianer mehr sein nach der Nacht und dem Vormittag im Indianercasino und Indianerhotel. Weil alles nur eine falsche Fassade war, grobe Steinfassaden und glatte Zedernholzimitation, das Empfangsgebäude eine riesige Tipi-Nachempfindung im Erlebnisparkstil, Hunderte Männer und Frauen von den verschiedensten Stämmen erledigen die simplen, die schmutzigen, die schlecht bezahlten Arbeiten, die Stammeshäuptlinge und die weißen Manager kassieren die Gewinne. Nirgendwo ein Odgidjida. Drei oder vier Männer, zwei von ihnen Ottawa, einer GitXan aus dem fernen British Columbia, einer Mowhak, fragte ich, ob sie mir die Idee oder das Konzept von Odgidjida erklären könnten, alle schüttelten sie bedauernd die Köpfe, nie davon gehört, dann fragte ich keinen mehr.
    Johann Georg Kohl berichtet mit großer Hochachtung vom Odgidjida, welches Wort in der Ojibbewaysprache Held bedeutet, oder Sehr Mutiger Mann. Der Titel Odgidjida ist für die Indianer der höchste auf Erden, schreibt er, und dass sie bis an das Ende der Welt gehen würden, um ihn zu erlangen. Was ihm besonders imponierte: Den Titel erlangt einer nicht nur, wenn er sich im Krieg auszeichnet oder durch die Tötung von Feinden. Sondern, wie kurios, notierte er fasziniert, viele erhalten diese Auszeichnung, weil sie lange und gefahrvolle Reisen unternommen haben.
    Solche Geschichten müssen ihm gefallen haben, dem manischen Reisenden Kohl: Die Choctaw bewahren bis heute die Erinnerung an ihren größten Reisenden, der aufgebrochen war aus dem Land der Großen Seen in Richtung Westen, um das Meer zu finden, in dem Abend für Abend die Sonne verschwindet. Ob dieser Reisende erfolgreich war, oder ob es für seine Stammesbrüder genügte, dass er aufgebrochen und vielleicht nicht zurückgekehrt war, um den Heldenstatus zu erlangen, überliefert Kohl nicht. Wahrscheinlich haben seine Gewährsleute seine diesbezüglichen Fragen nicht verstanden, oder er nicht ihre Antworten.
    Noch euphorischer besungen wurde der Ruhm eines jungen Lakota-Kriegers, der zu einer nicht weiten, aber umso mutigeren Reise aufgebrochen war. Er wollte sehen, wie die Ojibbeway, die Erzfeinde seines Stammes, lebten, und darum machte er sich ganz alleine, nur bewaffnet mit einem Gewehr auf den Weg und besuchte Dorf um Dorf der Todfeinde. Die waren so verblüfft über solche Unverfrorenheit, dass er, wenn sie zu den Waffen griffen, schon wieder weg war. Oder, so die Lagerfeuererzählung, sie bewunderten den Heldenmut so sehr, dass sie dem Lakotamann applaudierten, statt ihn anzugreifen. Einen ganzen Winter sei der Krieger im Ojibbewayland unterwegs gewesen, vermerkt der Chronist mit Wohlwollen, und

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