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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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als er im Frühling aufbrach in Richtung Heimat, verabschiedeten ihn die Ojibbeway mit allen Zeichen der Ehrerbietung.
    Mir gefällt am besten die Mär von jenem Odgidjida der Anishinaabe, allerdings nur der Teil vor der Schlusspointe, der seinen Ehrentitel errang als ausdauerndster Läufer seiner Zeit. Ein Stück Wild niederrennen, so nannten sie eine Jagdmethode, bei der ein Mann einem Reh oder Hirsch so lange nachlief, bis er in Schussweite kam. Kohl, ganz europäischer Aufklärer, ganz Skeptiker, notiert dazu spitz: Wahrscheinlich galt dies nur für den Winter, wo die Hufe von schwerem Rotwild durch die Schneedecke brachen, während die Indianer mit ihren Schneeschuhen leicht darüber hinwegglitten.
    Jener Jäger lief einen Tag lang hinter einem Elch her, und am nächsten Tag wieder. Immer näher kam er dem Tier. Schließlich hätte er das mächtige Wesen schon mit Leichtigkeit töten können, doch er tat es nicht. Es wäre unmöglich gewesen, die Beute zurück zum Lager zu bringen. Darum tat er etwas, das ihm den Ehrentitel Held eintrug. Er blieb in regelmäßigen Abständen stehen, und das Tier auch, beide, um zu verschnaufen. Wenn er dann die Ein-Mann-Treibjagd wieder aufnahm, brachte er sich unmerklich in eine Position, die den Elch zwang, die Fluchtrichtung zu ändern. Bis die beiden am Ende in die Richtung trabten, aus der sie gekommen waren.
    Das ist der Teil der Geschichte, der mir nicht gefällt. Denn am Schluss hatte der Anishinaabe-Mann den Elch bis zu seiner eigenen Erdhütte getrieben. Wieder blieb er stehen, ebenso der Elch, doch während das Tier um Luft rang, trat der Jäger näher und näher heran und stieß ihm zu guter Letzt das Jagdmesser ins Herz.
    Ein Held, der am Ende etwas tut, was mich sehr verstört, wie dieser Elchjäger der Anishinaabe, das ist auch Bob Dylan. In meinem Traum hätte der Jäger sich damit zufriedengeben müssen, ein Held zu sein, weil er offensichtlich die Fähigkeit besaß, bis ans Ende ihrer beider Tage neben dem Elch herzulaufen. Ein schöner letzter Satz der Geschichte wäre ein solcher für mich gewesen: Doch anstatt die Riesenmenge Fleisch, die dampfend und schwer atmend vor ihm stand, in Besitz zu nehmen durch einen schnellen, gezielten Dolchstich, trat er heran an das Tier, müde starrten ihn die großen braunen Elchaugen an, der Jäger streckte die Hand aus, leer wie sie war, und legte sie für einen Augenblick auf das von Schweiß glänzende nasse Fell, dann drehte er sich um und kroch zufrieden in seine Erdhütte.
    In meinem Traum hätte Dylan in Linz seine großartigen, tausendmal gehörten Lieder singen müssen wie bei dem Konzert mit den Grateful Dead, oder wie auf dem Budokan -Album. Stattdessen erstach er sie mit dem Dolch des Dekonstruktionsfurors. Und dasselbe hatte er getan im Rama Entertainment Center des Spielcasinos der Ojibbeway in Orillia. Mitten im Lederstrumpf-Land, in der Mitte zwischen Ontario Lake und Lake Huron, wo einst Natty Bumppo und Chingachgook dem Elch und dem Hirsch hinterhergetrabt waren mit nicht endender Ausdauer.
    Der Rama-Saal war riesig, fünftausend Sitzplätze, ein wenig sah er aus wie die Stadthalle in Wien, überdimensioniert und irgendwie zu flach, nur um einiges luxuriöser als die Wiener Halle. Muss ja sein, für dieses Publikum, das vorwiegend die Gäste des Hotels und des Casinos und des Wellness-Ressorts stellen. Im Parterre einzelne Stühle mit Polsterung in einem unentschiedenen Braun, auf den Rängen breite, bequeme, blau bezogene Sessel mit viel Fußfreiheit.
    Er begann mit Leopard-Skin Pill-Box Hat und It Ain’t Me Babe , und es war wie in Linz vor sechzehn Jahren. Lied um Lied zerflatterte unter seinem Altmännerkrächzen und wurde abgestochen von seinen Musikern, die einen Sound erzeugten wie eine billige Tanzabendcombo. Nein, schlechter. Beim Feuerwehrball im Dorfwirtshaus, wo die Hahnenschwänzler die Nazis zuschanden geprügelt hatten und zwei Jahre später die Nazis die Hahnenschwänzler, da hätten sie in meinen Dorfballjahren so eine Band nicht hinausgepfiffen, sondern hinausgeprügelt.
    Ich verstand nicht, warum er das tat. Hervorbringungen wie seine Lieder, die bereits alles hinter allem Sagbaren untersucht haben, die muss man nicht zerlegen, wie ein Kind noch am Weihnachtsabend das neue Feuerwehrauto zerlegt, um zu sehen, was dahinter ist. Hinter Dylans Liedern, zumindest hinter den guten, ist nichts mehr, kann nichts mehr sein. Er sollte das wissen.
    Ich dachte, er tut es, weil es ihn unendlich

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