Das leere Land
geblieben war wie immer, und leiden, wenn alles anders geworden war. Im Indianercasino Rama zu Orillia hatte ich es mehr geahnt; ich hatte es nicht formulieren können in meinem Kopf. Aber ich hatte bereits gewusst, was ich jetzt auf norischem Boden niederschreiben kann. Ich sehe es klar und deutlich. Nicht Severinus ist der Narr. Ich bin es.
Am Jugendschreibtisch in meinem Kinderzimmer suchte ich lange bei Amazon und Google und auf dylan.com . Ich fand nichts. So sehr wünschte ich, es gäbe CD s zu erwerben, Live-Alben von seiner seit 1988 ununterbrochen laufenden Tournee. Ich wollte sie hören, sie um mich haben, ständig parat am MP3 -Player, diese zertrümmerten und verwüsteten Sehnsuchtslieder meiner Jugend. Diese zerhämmerten und von ihrem Schöpfer selbst deformierten Hymnen gäben die ideale Begleitmusik ab für mein bipolares Stolpern durch die Konstrukte, die immer durchsichtiger werden und immer weniger Halt bieten.
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Wunder über Wunder listet Eugipp auf in der Vita des Heiligen Mannes. Sogar die Feinde suchten Hilfe beim Wundertäter. Einen Rugier, den seit zwölf Jahren schon die Gicht plagte, so sehr, dass er am Ende seine Glieder zu überhaupt nichts mehr gebrauchen konnte, den legte seine Mutter auf einen Ochsenkarren und schaffte ihn an die Donau und über die Donau, mit der Fähre, oder über die Holzbrücke, das weiß man nicht, was es da wirklich gegeben hatte, und legte ihn vor der Tür des Klosters des Severinus in Mautern auf den Boden. Unter unaufhörlichem Weinen bat sie um Heilung, bis ihre Tränen den Heiligen rührten. Ein wenig zierte er sich, warum bedrängt man mich, stöhnte er, warum verlangt man von mir, was ich nicht kann?
Nicht er könne heilen, sondern der Herr, sagte er. Er befahl der rugischen Mutter, nach Kräften für wohltätige Werke zu spenden, die schlichte arianische Barbarin begann sich auszuziehen und wollte ihre Kleider sofort unter den Bedürftigen Mauterns verteilen. Severinus stoppte sie, er nahm ihr das Versprechen ab, bei sich daheim Wohltätigkeit zu üben, er trug ihr und den ihren ein mehrtägiges Fasten auf. Dann betete er inbrünstig zu Gott, und auf der Stelle war der Gichtkranke geheilt und schritt eigenen Fußes zurück ins Rugiland. Von da an standen immer wieder Rugier vor der Tür des Dieners und Soldaten Gottes und baten um Heilung und Segen.
Auch Feletheus, den die Römer manchmal Fewa oder Feva oder Feba nannten, reihte sich ein in jene rugische Schar, die das Haupt beugte vor Severinus. Feletheus war regierender König der Rugier, Sohn des Flaccitheus, der 475 verstorben war, selig im Bett, wie vom Heiligen prophezeit. Und er war gesegnet mit einer Gemahlin, Giso hieß sie, aus der Familie des großen Goten Theoderich stammte sie, die nannte man ein böses Weib, aus katholischer Sicht. Die Königin drang ständig in den König, er möge aufhören damit, bei dem verhassten Römer Rat und Zuspruch zu suchen, doch der König hörte nicht auf sie. So gottlos war dies ketzerische Weib, schreibt ein entrüsteter Eugipp, dass sie sogar versuchte, gefangengenommene Katholiken von südlich der Donau zu taufen im Namen der arianischen Ein-Gott-Irrlehre.
Giso und die Goldschmiede, so könnte man ein weiteres Wunder übertiteln. Die böse Königin, eine fanatische Propagandistin der Lehre des Arius, hatte Romanen aus der Nähe von Favianis über die Donau verschleppen lassen, die mussten in ihrem Reich Sklavenarbeit leisten. Als Severinus durch Unterhändler deren Freilassung forderte, spottete Giso bloß, so der empörte Eugipp, trotzig und in weiblicher Wut. Sklave Gottes, so hieß sie den Heiligen Mann, und dass er sich in seiner Klause verkriechen und am besten für sich selbst beten möge. Na, da kam aber die Strafe des Herrn über sie!
In Sachen Herkunft nicht näher bezeichnete, aber allem Anschein nach germanische Goldschmiede, die das Königspaar an seinem Hof hielt als Sklaven, traten just in jenen Tagen in so etwas wie einen spätantiken Streik gegen die zermürbende Fronarbeit. Drastisch unterstrichen diese hoch spezialisierten und an allen Fürstenhöfen gesuchten metallurgischen Facharbeiter ihre Forderungen. Prinz Fredericus, neugierig wie alle Kinder, hatte sich in die Werkstätte der Schmiede geschlichen. Die packten das Prinzchen, setzten ihm ein Schwert an die Brust und drohten, zuerst das königliche Kind und dann sich selbst zu töten, wenn ihre berechtigten Ansprüche nicht erfüllt würden. Wie jammerte und heulte da Königin
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