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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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Sockel ihrer Denkmäler pinkeln, wenn ich so sagen darf.
    Was sollte ich da antworten. Dass ich davon besessen war, alles abzuklopfen auf eine eventuelle Brüchigkeit, dass ich eine seltsame Lust verspürte, für die ich mich oft schämte, wenn eine weitere Demontage erfolgt war, dass ich sie alle herunten haben wollte bei mir, in Augenhöhe? Ausgenommen Winnetou natürlich, Winnetou nicht. Und auch May nicht, der war von vornherein brüchig, ein Heldendenkmal voller Risse und Sprünge und nur mit viel Mühen und Sich-selbst-Belügen auf dem Podest zu halten.
    Obwohl es manchmal schmerzte, dieses Demontieren von Helden, etwa wenn ich bei der Suche nach Sendern im Autoradio in ein Literaturmagazin geriet, in dem sie Horváth outeten, wie er sich bei den Nazis angebiedert hatte und unbedingt Mitglied der Reichsschrifttumskammer werden wollte. Ausgerechnet Horváth. Wie brach da auf einmal der Glanz des funkelnden Lichtes, der auf Sätze fiel wie jenem in seinem Roman Jugend ohne Gott , den er als große, gleichermaßen von Wut und Trauer erfüllte Klage um die deutsche Jugend hingesetzt hat wie Granit. Der eigene Name auf dem Kriegerdenkmal sei der Traum ihrer Pubertät, schrieb der zornige Horváth. Mein Name steht auf einem Kriegerdenkmal, Ödön, doch es ist nur ein kleiner, lästiger Albtraum, der mit dem Vergrößern des Abstands zur Pubertät immer unangenehmer wird.
    Oder erst der Schmerz, als Sinéad O’Connor versuchte zu singen vor fünfzigtausend Dylan-Fans, die aber derart laut pfiffen und schrien, dass sie nicht zu hören war. Weil sie ein paar Tage vor diesem Tribute-Konzert ein Bild seiner Heiligkeit Karol Wojtyła zerrissen hatte, wegen der schmierigen katholischen Priester, die ihre Priesterfinger und Priesterschwänze nicht von den kleinen amerikanischen Buben und Mädchen lassen konnten. Zum Toben brachte die scheinheiligen amerikanischen Katholiken jedoch das Zerreißen eines Papst-Fotos. Und dann der Schmerz, als eine Stunde später Dylan selbst vor diesen zum Lynch bereiten Mob trat und seine alten Lieder herunterleierte, als ob nichts gewesen wäre.
    Überhaupt Dylan. Er ist schuld, dass ich mir selbst auf die Schliche gekommen bin, und ich weiß nicht, ob das gut ist oder nicht. Das Konzert in der Linzer Sporthalle, vor sechzehn Jahren, am Beginn seiner dekonstruktivistischen Phase. Ich lebte und arbeitete damals in Wien, freiberuflich, erledigte Jobs für Zeitungen, für die sich ihre fest angestellten Redakteure zu gut waren, oder solche, bei denen die Nachtzuschläge und Wochenend-Überstunden für einen nach Kollektivvertrag bezahlten Angestellten zu teuer gekommen wären. Sie schickten mich zum Bundesparteitag der Sozialisten im Linzer Brucknerhaus.
    Ein langweiliger Routinejob. Auf dem Parteitag geschah nicht viel mehr, als dass am Abend des ersten Tages eine Riesentafel mit der Aufschrift »Zukunft Sozialdemokratie« von der Wand krachte, unmittelbar neben der Rednertribüne, an der Vranitzky tags darauf die Partei umbenannte von sozialistisch auf sozialdemokratisch. Nach dem Ende der Jubelveranstaltung hetzte ich auf den Bauernberg, in die städtische Sporthalle, in Anzug und Krawatte, und kam gerade noch zurecht.
    Dylan begann mit New Morning , dann Lay Lady Lay . Es muss die bekannt schlechte Akustik dieser Halle sein, die ja konstruiert ist für Leichtathleten oder Basketballer oder Eisrevuen, dachte ich. Ich setzte mich ganz hinten auf den weichen Kunststoffboden und suchte mich zu entspannen, wehrte mich gegen die Linzer Depression, die mich befiel mit großer Macht. Es half nichts. Es war nicht die Akustik. Es war Dylan.
    Ich wollte versinken in die bedeutungsschwangere Unergründlichkeit der alten Lieder, the thing that scared me most was when my enemy came close I could see into his face, it looked like mine, wollte mich nach den zermürbenden, zeitraubenden Ritualen des Politikertreffens wieder weichspülen lassen von warmer, trauter Erinnerungsseligkeit, der Sänger vorne sollte den süßen, bitteren Duft der Vergangenheit evozieren. Er sollte dafür sorgen, dass ich mich wohlfühlte.
    Doch das tat er nicht. Für mich überraschend, die anderen waren anscheinend vorbereitet und kreischten und jubelten, als ob nichts geschehen wäre. Für mich war etwas geschehen. Ich verstand nicht, was passierte. Dylan und seine Musiker zerhackten und zerklopften Lied um Lied. Bob Dylans Dream erkannte ich erst nach ein paar Minuten, und auch nur an der ersten Textzeile, die halbwegs

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