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Das leere Land

Das leere Land

Titel: Das leere Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kohl
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gewesen, dass sie den Hang hinunter nur noch gekollert seien, dann eine Weile liegen geblieben im Dreck, unfähig, gleich wieder aufzustehen, während die Ausbildner brüllten, dass man sie hörte bis ins Dorf hinein. Im Frühjahr war ich mit meinem Vater über das junge hellgrüne Gras dieses Hanges hinuntergeschlittert, denn unten, jenseits der Wiese, fanden sich in einem schmalen Streifen von Kopfweiden und Stauden entlang eines Baches die ersten Schneeglöckchen, mein Vater kannte die besten Plätze.
    Und sie erzählte nichts von den freien Sonntagnachmittagen in Lohne und davon, wie sich die Hundertschaften von einsamen Reichsarbeitsdienstmädchen die Zeit vertrieben hatten. Nur von den Pferden Westfalens sprach sie, für die Oldenburg ja heute noch berühmt ist. Das von jeher sehr große und früher ein wenig ungeschlachte Oldenburger Pferd erlangte vor Jahrhunderten schon als ausdauerndes, kräftiges und gutmütiges Kutschpferd europaweite Bedeutung, und seit man vor sechzig Jahren begonnen hatte, die Kutschpferdstuten gezielt von Vollbluthengsten besamen zu lassen, hat es sich gemausert zum Reitpferd und schließlich universal einsetzbaren Sportpferd, was ihm das Überleben in an sich pferdelosen Zeiten garantiert hat.
    Wo war da der Mann, der denselben Namen hat wie ich, während du in Lohne warst?, fragte ich sie dann. Da wurde sie einsilbig. Das war das letzte Kind deiner Großmutter, sagte sie, es war praktisch ihr Lieblingskind, den hat sie am meisten –
    Sagte nicht, was die Zähneausreißerin mit ihrem liebsten Sohn am meisten gemacht hatte, verhätschelt wahrscheinlich, verzogen, ein übermäßiges Aufheben um ihn gemacht. Er ist in eine Lehre gekommen, murmelte sie, er hat Maurer gelernt, er war ja sehr groß und kräftig.
    Und der Architekt?, fragte ich.
    Ja, das war sein bester Freund. Sie haben sich kennengelernt in der Berufsschule. Dem sein Vater ist aus dem Altreich hereingekommen, aus München, gleich nach dem Anschluss. War ein hoher Ingenieur, und weil er offensichtlich die besten Beziehungen gehabt hat zu den Nazis, ist er ein Direktor geworden in den Göring-Werken. Und der Robert, der sollte zuerst ein ordentliches Handwerk lernen und dann in die Fußstapfen seines Vaters treten. So sind die zusammengekommen, ja.
    Das war vorerst alles, was sie erzählte über den toten Mann vom Kriegerdenkmal. Irgendwann einmal, an einem anderen Abend, sagte sie, ohne Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema, dass mein Vater auch in dieser Berufsschule gewesen war. Ob sie sich gekannt hatten, fragte ich. Natürlich, sagte sie. Aber dein Vater hat sich mit den zwei nicht so gut verstanden. Die haben getan, als ob sie was Besseres wären, hat er immer gesagt. Ich drang nicht weiter in sie. Es ist ihr nicht möglich, Familienstücke aus der heiligen Ruhe zu schrecken und altersgeweihte Fugen zu sprengen, sah ich mit großer Deutlichkeit.

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    Ich bin nicht die, die du glaubst, dass ich bin, sagte sie. Sie hatte mich angerufen und verlangt, dass ich sie verstecke. Ich habe kein Guthaben mehr auf der Wertkarte, sagte sie, ruf mich zurück. Das tat ich. Die Polizei ist eingeschaltet, der Minister droht den Fluchthelfern mit saftigen Strafen, sagte ich. Ich bin das nicht, sagte sie. Wenn du willst, sagte ich, aber es ist ziemlich kindisch.
    Wenn ich die wäre, wäre ich ein Kind.
    Du weißt, was ich meine. Ich würde dich nicht verraten. Du kannst mir vertrauen.
    Niemandem kann man vertrauen.
    Wenn du die bist, dann kannst du vielen vertrauen. Liest du keine Zeitungen? Sogar die miesen Krawallmacherblätter sind mittlerweile auf deiner Seite.
    Ich wäre froh, wenn ich die wäre. Die sitzt irgendwo bei irgendwelchen Typen, denen einer abgeht, weil sie so gute Menschen sind. Ihr tut keiner was.
    Tut dir wer was?
    Keiner kriecht zu der hinüber und zippt leise leise den Schlafsack auf, weil er glaubt, dass sie schläft, keiner legt seine dreckigen Finger auf ihren Frosch und wichst sich dabei mit der anderen Hand einen herunter. Die muss nicht so tun, als ob sie schläft, weil der vielleicht was weiß ich was tut, wenn er merkt, dass sie wach ist.
    So was muss man anzeigen, sagte ich.
    Stell dir vor, sagte sie, die würde zwei Typen fragen, ob sie ein Stück mitfahren kann, und die sind nett, sie haben Spaß im Auto, und dann fragt sie, ob sie vielleicht bei denen übernachten kann, bloß eine Nacht, natürlich, sagen die, kein Problem. Und dann machen sie Schnaps auf, und die wird betrunken, ganz wirbelig dreht

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