Das Legat der Toten
Berührung auf der Stirn hatte sie sich nicht eingebildet, denn da hatte sich tatsächlich etwas verändert.
Ein rotes Kreuz zeichnete sich dort ab. Rot wie Blut, aber auch kein normales Kreuz, denn es war auf den Kopf gestellt worden. Das Zeichen des Satans.
Miranda zitterte, weil sie so überrascht worden war. Sie holte ein paarmal Luft, schloß die Augen, schüttelte den Kopf, schaute wieder hin und mußte feststellen, daß sie sich nicht geirrt hatte.
Es gab das Kreuz!
Sie schloß die Augen. Mit beiden Händen hielt sie sich am Rand des Waschbeckens fest. Sie war jetzt eine Gezeichnete. Das Kreuz mußte der Eintritt ins Legat gewesen sein. Sie gehörte dazu, und sie wußte nicht, ob sie sich darüber freuen sollte oder nicht.
Dann war die Stimme wieder da. Heimlich, flüsternd, aber nur in ihrem Kopf.
»Das Warten hat sich gelohnt. Du wirst nicht mehr allein sein, Miranda. Es dauert nicht mehr lange, dann bist du in der Lage, deine Freunde zu sehen...«
»Wo denn?«
»Hier...«
Miranda konnte es noch immer nicht richtig glauben. Sie mußte einfach die Augen öffnen, um sich im Spiegel anzuschauen. Und sie sah dort das gleiche Bild. Ihr Gesicht mit dem blutigen Kreuz auf der Stirn.
Es schien in die Haut eingeritzt worden zu sein, aber es war kein Schmerz vorhanden. Auch kein Brennen. Das Kreuz hatte sie nicht beschädigt.
Sie nickte sich selbst im Spiegel zu, wobei sie eigentlich den Unbekannten meinte. »Was soll ich denn tun?« flüsterte sie. »Ich möchte nicht noch länger warten und...«
»Du wirst deine Erfüllung finden. Das Legat wartet auf dich. Du bist eine von denen, die das Vermächtnis wieder an sich reißen und dafür sorgen, daß es nicht in Vergessenheit gerät.«
Miranda Wayne hörte danach nichts mehr. Doch sie war zufrieden, und sie wußte auch, daß sie unter einem besonderen Schutz stand. Es war ein anderer Schutz als der von Frenton, diesem Schwein. Er hatte sie nur ausgenutzt und ihr gerade soviel Geld gelassen, daß sie sich ernähren konnte.
Warum habe ich mir das so lange gefallen lassen? fragte Miranda sich jetzt. Sie kannte auch die Antwort. Weil ich jung, dumm und verliebt gewesen bin.
Es klopfte.
Miranda schreckte aus den Gedanken hoch, ging zur Tür und zerrte sie so heftig auf, daß die Wirtin erschrak und ihre Arme in die Höhe riß, wobei sie einen leisen Schrei ausstieß.
»Was wollen sie?«
»Besuch. Für Sie ist Besuch unten.«
»Wer?«
»Zwei Männer.«
Miranda Wayne schloß für einen Moment die Augen. Es waren die Personen, auf die sie gewartet hatte. Sie hatte Mühe, die Beherrschung zu wahren und die innerliche Freude zu verbergen.
»Danke, daß Sie mir Bescheid gegeben haben. Kennen Sie die beiden Männer eigentlich?«
»Nicht daß ich wüßte.«
Die Antwort tat Miranda gut. Sie dachte an die Bilder in den Zeitungen, die sicherlich von zahlreichen Lesern gesehen worden waren. Aber nicht jeder paßte auf, und wer weiß, vielleicht hatten sich die beiden auch verändert.
»Kann ich dann Ihr Zimmer...«
»Nein, noch nicht!«
»Schon gut.«
Kopfschüttelnd ging Miranda auf die Treppe zu. Sie war mit einem grüngrauen Teppich belegt und paßte einfach in diese gesamte Umgebung. Wie auch die vergilbten Bilder an den Wänden, die von einer ebenfalls vergilbten Tapete bedeckt waren.
Miranda war schon gespannt, wie das erste Treffen verlaufen würde. Zugleich wunderte sie sich darüber, daß die Wirtin sie nicht auf das Kreuz an ihrer Stirn angesprochen hatte. Es war sichtbar. Es war rot. Es konnte nicht übersehen werden.
Sie fühlte nach und merkte nichts mehr davon. Keine Feuchtigkeit, kein leichtes Kleben. Ihre Stirn fühlte sich an wie immer. Demnach mußte das Kreuz wieder verschwunden sein.
Es gab in diesem Haus keine Lobby und auch keine richtige Rezeption. Nur ein Raum mit alten Möbeln, die von irgendeinem Flohmarkt geholt worden waren.
Keiner der Männer hatte sich gesetzt. Aber Miranda war gehört worden, und beide drehten ihr den Kopf zu. Die letzten Stufen schritt sie langsamer hinab und versuchte es mit einem Lächeln, doch es wurde nur ein Zucken der Lippen daraus.
Sie blieb auf der letzten Stufe stehen. Sie wollte größer wirken und den Männern in die Augen sehen können.
Beide standen nebeneinander. Sie waren älter als Miranda und unterschieden sich selbst auch vom Alter her. Der Jüngere kam auf sie zu und nickte. »Ich heiße Dean Todd.«
»Miranda Wayne.«
»Und ich bin Peter Ritter!«
»Angenehm...«
Durch die
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