Das Legat der Toten
Taschen mit den Geschenken.
»Nein«, sagte Sarah sofort. »Sei nicht so neugierig, John.«
»Bin ich doch gar nicht.«
»Dein Blick sprach Bände.«
»Naja, man darf ja mal raten.«
»Mehr auch nicht.«
»Deshalb seid ihr nicht hier«, sagte Jane und trank einen Schluck Kaffee. Zwei leere Kuchenteller hatte sie übereinander gestellt und in die Mitte des Tisches geschoben.
»Du hast recht. Es geht um etwas, bei dem uns Sarah vielleicht helfen kann. Jedenfalls rühren Suko und ich einfach nur im Leeren herum. Das ärgert uns.«
»Sollten wir da nicht ins Archiv?« schlug Jane vor.
»Mal sehen.«
Ich wollte anfangen, aber die Kellnerin kam an den Tisch. Die junge Frau sah gestreßt aus.
Es war mir zu warm, um jetzt noch Kaffee zu trinken, deshalb bestellte ich ein Wasser. Suko tat es mir nach, und so konnten wir endlich zur Sache kommen.
Lady Sarah war schon sehr gespannt. Sie saß auf dem Stuhl und schaute zu, wie ich in die Tasche griff. Den Unterlagen hatte ich den Artikel entnommen, auf dem nicht nur die Bilder der Täter zu sehen waren, sondern auch die beiden Kreuze.
»Schau es dir an.«
Sie lachte. »Den Bericht kenne ich. Das liegt noch nicht lange zurück.«
»Wunderbar.«
»Was habt ihr damit zu tun?«
»Es geht um die Kreuze«, sagte Suko. »Unserer Ansicht nach deuten sie auf etwas Bestimmtes hin. Wir haben keine Ahnung, was es sein könnte, und dachten uns, daß du vielleicht etwas mehr darüber weißt.«
Sarah nickte, bevor sie ihre Brille aufsetzte, die an einem Band hing und vor der Brust baumelte. Sehr genau schaute sie hin und sagte dann, was wir alle sahen. »Sie stehen auf dem Kopf. Alle drei. Ihr wißt selbst Bescheid.«
»Klar.« Meine Augen verengten sich. »Nur wissen wir nicht, was dahintersteckt oder dahinterstecken könnte. Das ist die große Frage. Was haben diese drei Personen damit zu tun? Man hat die Kreuze in ihren Wohnungen gefunden. Jemand hat eine Spur gelegt. Bewußt einen Hinweis gegeben. Aber worauf?«
»Ihr wißt nichts?«
»Nein.«
»Was könnte es denn sein?« sprach Sarah in die Runde. »Das deutet auf eine gewisse Spur hin. Und sie führt zu einem bestimmten Ziel«, sagte sie leise. Es war zu sehen, wie sie überlegte. Sie hielt die Augen halb geschlossen und den Artikel etwas von sich gestreckt. Ein Muster aus Falten hatte sich in ihre Stirnhaut eingegraben. Wenn die Horror-Oma so reagierte, dann waren ihre Gedanken dabei, sich zu drehen.
»Sagen dir die Kreuze etwas?« fragte ich leise.
Sarah nickte.
Eine Antwort bekamen wir nicht. Zudem brachte die Kellnerin unser Wasser.
»Es ist lange her«, sagte Sarah plötzlich. »Sogar ziemlich lange. Da hat keiner von uns gelebt.«
»Wann war das?« flüsterte Suko.
»Vor hundert Jahren.«
»Genau?«
»Ja. 1899. Einige Wochen bevor das Jahrhundert kippte. Wie gesagt, ich habe da noch nicht gelebt, aber ich habe alte Zeitungsausschnitte gesammelt, die ja als Reprints wieder erschienen sind. Es ist spannend, nachzulesen, was damals alles geschah. Und zu dieser Zeit hat es einen Mann gegeben, der sich genau unter diesem Zeichen ausbreiten konnte. Er war der Meinung, mit den Toten zu sprechen. Es war das Legat der Toten. Er war deren Botschafter. Er wollte das tun, was ihnen zu Lebzeiten nicht gelungen ist. Aus dem Kopf weiß ich es nicht, aber es sind einige böse Dinge damals geschehen. Es hat wohl auch Tote gegeben, denn das Legat nimmt auf nichts Rücksicht.« Sie lachte auf. »Jetzt erinnere ich mich sogar an den Namen. Der Mann hieß Booker. Ich weiß das deshalb so gut, weil ich mir vor kurzem noch einmal die alten Zeitungen hervorgeholt habe. Und jetzt kommt alles wieder hoch. Dabei hätte ich schon beim Lesen des Artikels herausfinden müssen, was hier vor sich geht. Ich meine den.« Sie deutete auf das Blatt mit den Informationen. Dann schaute sie uns an. »Es scheint so zu sein, daß dieser Booker und sein Legat der Toten wiederauferstanden sind.«
Ich schluckte mein Wasser und war zunächst einmal still. Auch Suko sagte nichts, und Jane hielt sich ebenfalls zurück.
»Warum fragt ihr nichts?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist schwer, Sarah, dir Glauben zu schenken.«
»Ich habe die Wahrheit gesagt.«
»Kennst du noch weitere Einzelheiten?«
»Nein. Da müßten wir zu mir fahren. Das Legat der Toten hat das Grauen verbreitet, glaube ich gelesen zu haben. Booker und seine Leute waren ausführende Organe. Ihre Befehle erhielten sie aus dem Jenseits, und so wollten sie das Vermächtnis
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