Das Legat der Toten
brauchte nicht mit dem Gleichgewicht zu kämpfen. Wie ein neuer Herrscher hielt er sich auf dem schmalen Rand der Kanzel auf und riß dann den Mantel auf. Er stand im Licht der Kanzellampe unter der Decke, und dann peitschten seine nächsten Worte auf die Versammelten nieder.
»Ich bin der neue Mann! Ich bin die Erlösung. Ich bin die Erneuerung und die Rache zugleich!«
Er präsentierte sein Kreuz, und es schien das Licht aufzufangen. Jeder sah die andere Form, und auch die Bischöfe wußten Bescheid, was hier in ihre Kirche eingedrungen war.
Keiner von ihnen war in der Lage, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Vielleicht dachten auch einige an einen bösen Traum, und dieser Traum ging weiter, denn Booker dachte gar nicht daran, auf dem Rand der Kanzel stehenzubleiben.
Aus dem Stand heraus stieß er sich ab.
Wie ein großer böser Vögel flog er dem Kirchenboden entgegen. Er kam mit beiden Füßen zuerst auf, und aus seinem Mund drang ein gewaltiges Lachen, das wie ein Donnern durch die Kirche hallte.
»Was habt ihr denn hier?« schrie er und bewegte seine Hände über seinem Kopf hinweg, als wollte er innerhalb einer Sekunde alle Richtungen andeuten.
Booker war wie von Sinnen, aber er fühlte sich auf der Straße des Erfolgs, und seine Worte hämmerten weiter auf die Bischöfe ein. »Was ist das denn schon hier?« schrie er. »Ein Nichts. Ein Nichts gegen mich. Nichts kann euch schützen. Ich bin der wahre Herrscher des neuen Millenniums.« Er drehte sich um die eigene Achse und schaute für einen Moment auf den Altar. Dann fuhr er wieder herum und schleuderte in der Bewegung den Mantel von sich.
Nur mit einer pumpigen Hose bekleidet stand er in der Kirche. Sein Gesicht bewegte sich. Schatten liefen darüber hinweg, die aus der Tiefe hervordrangen. Eine schreckliche Fratze wurde überdeutlich, und es zeigte sich das schon in der Apokalypse erwähnte Tier.
Ein großer Schatten auf dem Gesicht, eine schreckliche Fratze, zu der die nächsten Worte paßten. »Ich bin die Macht! Ich – nur ich allein!«
Dann geschah es. Booker breitete die Arme aus. Ein kalter Wind, woher auch immer, fegte durch die Kirche. Wie ein Eishauch traf er die Bischöfe und ließ sie erschauern. »Ich hole keine Toten aus den Gräbern, ich mache welche!«
Booker lebte und tobte sich aus. Schatten huschten über Wände und die Decke hinweg, und plötzlich peitschte dieser mächtige Wind mit Urgewalt gegen die Kirchenfenster.
Nichts blieb mehr heil. Jedes Fenster zerbrach. Das Glas wurde förmlich weggespült. Der immense Druck schleuderte es nach außen. Und Booker hatte seinen großen Erfolg. Er war der Mächtige, er war zum Meister geworden.
Lachend drehte er seine Kreise vor den Bänken. Der Wind fegte jetzt von außen her in die Kirche herein und brachte den feuchten Geruch der Nacht mit.
Booker tanzte vor den Bischöfen und genoß seinen Erfolg. Das Gesicht wurde zu einer dicken Masse, aufgedunsen, wie bläulicher Stein. Dazwischen die gelben Augen des Tiers, die böse Fratze einer Kreatur der Finsternis, die endlich einen Sieg über das erlebte, was zu Beginn der Zeiten nicht möglich gewesen war.
Er lief zurück. Ohne sich umzudrehen sprang er rückwärts auf die Altarplatte. Er fegte mit einem ersten Tritt die dort liegende Bibel zur Seite und begleitete die Aktion mit einem wilden Lachen. Der nächste Tritt schleuderte die Kerzen samt Ständer zu Boden.
Wieder breitete er seine Arme aus. »Ich herrsche hier!« brüllte er in das Kirchenschiff hinein. »Mir gehorchen die Menschen in der Zukunft. Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich und wird vernichtet.« Mit einer Hand deutete er auf sein großes Kreuz auf der Brust. »Schaut es euch an, seht her! Das ist es! Das ist mein Kreuz! Das ist das neue Zeichen. Ich habe das alte genommen und es im wahrsten Sinne auf den Kopf gestellt. Das neue Jahrtausend steht vor der Tür, und es wird wieder eine Ära der Hölle werden. Der große Luzifer wird sich das zurückholen, was man ihm nahm, und ich bin stolz darauf, zu seinen Dienern zu gehören. Ich kenne ihn, ich habe ihn erlebt, ich habe mit ihm gelebt und werde für ihn die Zeichen setzen...«
Jedes Wort hatte er so laut gesprochen, damit es auch von den Anwesenden verstanden wurde. Der Auftritt hatte sie völlig überrascht. Selbst jetzt waren sie nicht in der Lage, etwas zu unternehmen. Es war kaum zu begreifen. Was sie bisher nur in der Theorie kannten, erlebten sie nun in der Praxis.
War er der Antichrist, von dem immer
Weitere Kostenlose Bücher