Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
angeheitert und glücklich. Sie würde diese Krise, oder was immer es auch war, bewältigen, alleine, und weder er noch Svenja würden überhaupt mitbekommen, dass es diese Krise gab.
Den Espresso tranken sie, gegen ihre Gewohnheit, in der Küche, weil sie die Zweisamkeit nicht aufheben wollten. Gegen halb neun brachte Daria ihre Tochter nach oben. Frieder hatte sich angeboten, aber sie hatte längst beschlossen, dass es sein Abend und seine Nacht werden sollte. Nach dem Vorlesen ging Daria ins Bad; sie wollte etwas Lippenstift auflegen, aber ihre Wangen waren so gerötet (der Alkohol), dass sie einen eher komischen Effekt befürchtete und es bei etwas Parfüm beließ.
Frieder saß, mit einem Glas Rotwein in der Hand, auf der Couch. Der Fernseher war ausgeschaltet. Er hat verstanden, dachte sie, und zog die Vorhänge an der Terrassentür zu. Am Himmel verloren sich einige blauschwarze, bauchige Wolken. Auf dem Stichweg vor ihrem Grundstück lief ein älteres Paar mit Hund. Das heißt, die Hecke versperrte ihr die Sicht auf das Tier, aber sie kannte das Ehepaar flüchtig. Pensioniert, beide, er hatte die Leine in der rechten Hand, sie hakte sich links bei ihm unter, und legte zusätzlich ihre linke Hand an seinen Oberarm. Den Kopf leicht zu ihm geneigt. Ein Bild, das Daria rührte. Am Ende ist das Leben genau das, oder es ist gar nichts.
Sie nahm ein Kissen von einem Sessel, ließ es auf Frieders Schoß fallen, bettete ihren Kopf darauf und streckte sich auf der Couch aus. Sein Glas Rotwein schwebte über ihrem Gesicht.
„Ich will eine Nestbauerin sein“, sagte sie leise. „Ich habe keine Talente, keine wirklichen Interessen. Gebe Gott, dass ich wenigstens dir und Svenja und mir ein Heim geben kann.“
Frieder verstand sie nicht. Er wusste nicht, warum sie es sagte, aber der Ton ihrer Stimme war ungewohnt brüchig und verletzbar. Er beschloss, sie zu küssen, und beugte sich hinunter.
In diesem Moment schien die Terrassentür zu zerspringen. Darias Oberkörper ruckte instinktiv nach oben, ihre Stirn traf Frieders Weinglas und verschüttete den größten Teil des Inhalts. Frieder stellte das Glas auf den Beistelltisch und war in zwei Schritten an der Tür. Er schob die Gardine beiseite und sah genau gegenüber, auf dem Stichweg, einen Mann. Es war noch fast taghell; Frieder wusste auf den ersten Blick, dass er ihn noch nie gesehen hatte.
Das Glas war heil geblieben, er sah verschiedene kleine Kratzer; eine Handvoll Kieselsteine lag verstreut auf den Steinen.
„Du Sau, du!“ Der Mann ballte die rechte Faust. Er war unrasiert, seit einigen Tagen, er trug eine blaue, offene Trainingsjacke, darunter ein buntgemustertes Baumwollhemd. Die wenigen fettigen Haare fielen ihm in die Stirn. Er bückte sich, Frieder hörte, wie dessen Hand in die Kiesel griff.
„Ruf die Polizei. Bitte.“
Sie saß aufrecht auf der Couch, die Arme vor der Brust verschränkt.
„Warte. Nur irgendein Betrunkener.“
Eine zweite Ladung Kieselsteine prasselte vor das Glas.
„Hund, dreckerter. Was hast du mit meinem Sohn gemacht? Mein Bub, wo ist er?“
Frieder konnte sehen, wie dem Mann Speichel vom Mund tropfte. Wieder streckte er die rechte Faust aus, aber er machte keine Anstalten, über die Hecke zu klettern.
„Geh nach oben. Vielleicht ist Svenja aufgewacht. Ich rufe gleich die Polizei.“
Frieder überlegte kurz. Dann zog er die lichtundurchlässigen Vorhänge zu. Wenn er nicht mehr zu sehen war, würde der Mann vielleicht verschwinden. Frieder blieb stehen und horchte angestrengt nach draußen. Er hörte Geräusche aus Georgs Haus, die Schiebetür wurde offenbar geöffnet. Dann hörte er Schritte, die nicht von nebenan, sondern vom Stichweg her kamen. Dann blieb es still.
Frieder atmete tief ein. Gerade war er noch ruhig, er fühlte sich gerade kalt und seiner selbst vollkommen sicher. Jetzt zitterten seine Beine, als er die Hände auf die Oberschenkel legte. Auch im Haus blieb es vollkommen ruhig; wenn Daria in Svenjas Zimmer gegangen war, hatte er es nicht gehört. Frieder stieg langsam, Stufe für Stufe, die Treppe nach oben. Daria saß auf dem Teppich vor der Tür zum Kinderzimmer und umklammerte ihre Brust. Sie war fahl im Gesicht.
„Sie schläft.“
Er nickte und streichelte ihre Arme.
„Er ist weg.“
„Hast du die Polizei gerufen?“ Sie versuchte aufzustehen, aber sie sank zurück gegen die Tür. Frieder ging in die Hocke und stützte sie unter den Achseln.
„Er ist weg. Ein Betrunkener vermutlich.
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