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Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)

Titel: Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schmitter
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Frage?“
    Das Kind senkte den Kopf und zog den Mund zu einer Schnute. Dann drehte sie sich um und lief zu einer Schaukel. Daria schaute ihr nach; sie konnte immer noch nicht verstehen, dass Svenja auf den Spielplatz wollte. Diese Phase schien eigentlich vorbei zu sein, aber als wäre jedes Alter nur eine Art Schnittmenge verschiedener Wachstumsphasen, wollte ihre Tochter an diesem Nachmittag offenbar noch einmal umkehren, im Sand spielen und mitgebrachte Apfelscheiben und Schokoladenkekse essen. Tatsächlich ging sie langsam in Richtung auf die beiden Kinder, die vielleicht drei, höchstens vier Jahre alt waren. Sie griff eine herrenlose Schaufel, die abseits lag, und zog Linien im Sand.
    Daria beobachtete ihre Tochter und wurde plötzlich von einer Mischung aus Leere und Trauer ergriffen. Mutter zu werden war ihr Versuch gewesen, endgültig im Leben anzudocken, und genau in diesem Augenblick fühlte sie, dass dieser Versuch gescheitert war. Sie hatte gehofft, die Mutterschaft würde alle Winkel ihrer Persönlichkeit ausfüllen, so wie eine Flüssigkeit nach und nach jeden Winkel eines Labyrinths ausfüllt. Aber Kinder, dachte sie und schob die Sonnenbrille wieder vor ihre nassen Augen, bringen keine Antworten, sie setzen sie voraus. Ja, darum hatte sie Georg anziehend gefunden: In seinen Augen konnten die Dinge einfach so bleiben, wie sie waren. Es war, als ob in ihm und in seinem Leben derselbe Puls schlage. Sie hatte es sich so sehr gewünscht – dass Gerding die Antwort auf ihr Leben sein würde. Aber da gab es diese Leere, die ihr manchmal die Kehle zudrückte, die sie anfiel wie ein Tier, beim Einkaufen, vor dem Computer oder sogar, wenn sie neben Frieder im Wohnzimmer saß. Warum nur gab es diese geradezu höhnische Ahnung von einem großen Nichts, und warum musste sie offenbar ganz alleine damit fertig werden?
    „Verzeihung, darf Ihre Tochter einen Keks essen?“
    Daria schreckte auf, ihr Kopf fiel in den Nacken, als hätte der Satz sie wie ein Windstoß getroffen.
    „Es sind Vollkornkekse. Nur in der Mitte ist ein wenig Schokolade. Ein Klecks Schokolade.“
    Daria kannte die beiden Frauen nicht, und sie hatte auch keine Lust auf ein Gespräch. Das lag nicht nur an ihrer augenblicklichen Stimmung – sie wusste, dass Frauen mit kleinen Kindern kein anderes Thema kennen als kleine Kinder; sie hatte das Alphabet von Abstillen bis Zäpfchen mehrere Jahre lang ertragen und glaubte nicht, es an diesem Nachmittag auch nur fünf Minuten aushalten zu können.
    „Oh. Natürlich. Sehr gerne.“
    Sie wollte ihnen nicht einmal den Namen ihrer Tochter verraten. Sie bereute, jetzt nicht einfach ein Buch aus der Tasche ziehen und aufschlagen zu können. Deshalb drehte Daria ihren Oberkörper leicht in die andere Richtung und schaute zu, wie Svenjas Taktik aufging, wie sie – nachdem sie sich zentimeterweise an die Kinder gleichsam herangespielt hatte – mit ihnen zu den Müttern gerufen wurde. Daria sah, wie die jüngere, hübschere der beiden einen ganzen Stapel an Pappbechern aus der Tasche zog. Ihr Instinkt hatte sie nicht getrogen, Mütter mit Kleinkindern waren unrettbar kommunikationswütige Gruppenwesen.
    Die Glocke der katholischen Kirche schlug. Daria zählte mit und schaute anschließend zur Sicherheit noch einmal auf ihre Armbanduhr: erst Viertel nach fünf. Eine gute halbe Stunde würde sie noch bleiben –  bleiben müssen, da Svenja kein Argument zum Weggehen akzeptieren würde. Frieder hatte kurz nach dem Mittagessen angerufen und gesagt, er käme um halb sieben. Er hatte nach dem „Hallo, ich bin’s“ eine Pause gemacht, als wüsste er nicht mehr, warum er überhaupt anrief. Es gab keinen Grund, seine Heimkehr telefonisch anzukündigen – es war seine normale Zeit –, und nachdem sie einige Sekunden nur seinen Atem gehört hatte, hängte er auf. Sie konnte ihm nicht helfen zu reden, nicht in diesen Tagen. Er war sehr bedrückt aus Karlsruhe zurückgekommen; seines Bruders wegen, der sich offenbar aus seiner normalen bürgerlichen Existenz abzuseilen begann. Wieso berührt es dich, hatte sie gefragt, wenn dein Bruder selbst dir eigentlich ziemlich gleichgültig ist? Er hatte die Achseln gezuckt, sich in sein Schneckenhaus-Schweigen zurückgezogen, das Tage oder Wochen dauern konnte. Daria, das Einzelkind, hatte Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass Frieder sich tief drinnen als Teil eines Paares betrachtete und überzeugt war, dass alles, was einem der beiden passierte, unweigerlich Auswirkungen

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