Das leichte Leben: Eine Geschichte aus der Vorstadt (German Edition)
hatte für den anderen.
Svenja stand auf und wischte in Höhe der Kniescheiben den Sand von der Hose. Sie ließ ihre Schaufel fallen (als sie aufrecht stand, wirkte der Altersunterschied zu beiden hockenden Kindern so groß, dass Daria unwillkürlich lächeln musste) und ging langsam auf ihre Mutter zu.
„Ich habe einen Tunnel gemacht. Du musst ihn unbedingt anschauen.“
„Weißt du“, begann Daria und eine ebenso heftige wie widersprüchliche Gefühlsmischung aus Verlorenheit und Nähe ließ ihre Kehle eng werden, „dass deine Mutter dich sehr gerne hat.“
„Mama!“ Svenja griff den Ärmel von Darias Lederjacke. „Der Tunnel, er geht durch eine Brücke hindurch.“
„Weißt du, dass deine Mutter dich sehr, sehr, sehr gerne hat.“
Svenja sagte nichts. Sie ließ den Ärmel nicht los.
„Hör zu, Liebes. Ich möchte jetzt gerne nach Hause gehen. Ich möchte für Vati etwas Leckeres kochen, den Tisch schön decken und mir Zeit nehmen für alles.“
„Das ist blöd. Warum?“
„Weil ich finde, dass du einen wunderbaren Vater hast. Und weil ich finde, dass wir viel zu selten daran denken, wie schön wir es miteinander haben.“
Mit der Kuppe ihres Fingernagels tupfte sie einen Kekskrümel aus Svenjas Mundwinkel.
„Was gibt es denn zu essen?“
„Das überlegen wir auf dem Nachhauseweg. Leg die Schaufel bitte wieder in den Sand zurück.“
Zwanzig nach sechs. Sie hatte es nicht ganz geschafft, als sein Volvo in die Karolinenstraße einbog. Auf dem Wohnzimmertisch lagen das Besteck und die Stoffservietten nicht neben den Tellern, sondern mitten auf dem Tisch – Svenja lag bäuchlings vor dem Fernseher und überhörte die Aufforderung ihrer Mutter zur Mithilfe. Daria holte zwei Weingläser aus dem Schrank und ging zurück in die Küche, wo ihre Lederjacke immer noch über einem Stuhl hing. Sie hatte als Erstes einen Putenbraten aus dem Tiefkühlfach geholt und zum Auftauen in die Mikrowelle geschoben. Auf dem Herd brutzelte eine Pfanne mit Zwiebeln, Champignons aus der Dose und Paprikastreifen. Sie würde später Tomatenstücke, Schinkenstreifen, Kräuter und Sahne ergänzen – kein bestimmtes Rezept, dazu fehlte die Zeit, sondern die improvisierende Erinnerung an verschiedene Rezepte.
Frieder kam in die Küche, als sie eine Packung Spätzle aus dem Hängeschrank holte. Er stellte sich wortlos hinter sie, legte sein Kinn an ihren Nacken und die Hände seitlich an ihre Hüften. Gegen ihren Willen schoss eine Szene mit Georg in ihren Kopf, und sie fragte sich, ob Männer generell diese Position, diese Art des Bedrängens, mögen, ob Männer einer Frau schlicht und einfach nicht gerne von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen.
„Willst du uns nicht einen Sherry holen?“
„Oh. Heute mal ein Aperitif zum Abendessen?“
„Ein Aperitif wozu immer du willst, Liebling.“
Das letzte Wort fühlte sich seltsam ungewohnt an in ihrem Mund, wie noch nicht ausgepackt. Es kam ihr so konventionell vor, und sie wusste nicht, ob sie es jemals schon an Frieder adressiert hatte.
Das Abendessen war gelungen. Svenja schöpfte mit einem Löffel die Flüssigkeit der Sauce ab – sie hasste Zwiebeln –, aß aber zwei Portionen Spätzle und Rollbraten. Daria, einen großen Sherry und zwei Gläser Rotwein im Magen, betrachtete ihren Mann. Er hatte ein blaues Polo-Shirt mit schwarzem Kragen angezogen; sie betrachtete seinen rechten Arm, der kräftiger war als der linke, weil er in seiner Jugend viel Tennis gespielt hatte. Sie fand diesen Arm sehr erotisch, eine perfekte Balance aus Länge, Form und Kraft. Manchmal im Bett, danach, strich sie ganz langsam mit der flachen Hand über diesen Arm. Mit geschlossenen Augen und wie unbeabsichtigt – es sollte ihr Geheimnis bleiben. Frieder würde immer schlank bleiben, nicht um die Hüften zusetzen wie viele Männer jenseits der vierzig oder sogar – wie Veronikas Mann, der nur in seinem Sessel im Keller lebte und Akten wälzte und aß und Akten wälzte und aß – alle Konturen verlieren, als hätte sich das Skelett aufgelöst in eine große Fleischmasse.
Nach dem Essen half Frieder ihr in der Küche. Sie berührte ihn mehrmals mit der Hüfte, wie zufällig, und sie fühlte einen Widerstand, der kein Widerstand war, sondern eine Bestätigung, dass er verstanden hatte. Sie lächelte, und er lächelte zurück. Sie redeten nur über Belanglosigkeiten, aber sie fühlte wieder einen Gleichklang wie seit Jahren nicht mehr. Es swingte in ihr, sie war
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