Das letzte Buch
gingen wir schweigend.
»Glaubst du, sie hören uns ab?«
»Das ist ein gängiges Verfahren.«
»Und dann behaupten sie, wir leben nicht in einem Polizeistaat!«
»In einem Polizeistaat, in dem auch die Polizei abgehört wird …«
»Aber wie können sie uns jetzt in der Teestube abhören? Wir unterhalten uns doch nicht übers Telefon?!«
»Vielleicht haben sie da Wanzen angebracht. Das tun sie auch des Öfteren.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Das kann ich nicht glauben. Aber wir müssen trotzdem zum ›Mandarin‹ gehen. Der Hauptkommissar hat gesagt, er werde uns dort
aufsuchen.«
»Wir gehen ein bisschen später. Wir müssen nicht sofort.« Wieder schwiegen wir eine Weile. Das eintönige Trommeln des Regens
und unsere platschenden Schritte mischten sich nur manchmal mit dem Brummen eines vorbeifahrenden Autos. Vor uns lag die menschenleere
Straße.
»Also?«
»Was denn?«
»Was bedeutet: ohne Grund?«
|115| »Das bedeutet, dass es für keinen der vier Todesfälle einen medizinischen Grund gab. Zumindest, soweit Doktor Dimitrijević
es beurteilen konnte.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Ich auch nicht. Vielleicht wird die Equipe von Hauptkommissar Milenković etwas feststellen. Sie sind besser ausgerüstet als
normale Pathologen.«
Sie dachte etwas nach, ehe sie die nächste Frage stellte.
»Haben sie einen Verdacht?«
»Das Amt für Nationale Sicherheit wird nie etwas von seinem Verdacht öffentlich verlauten lassen. Aber nach dem kurzen Gespräch
mit dem Hauptkommissar habe ich den Eindruck, dass sie an Terrorismus denken.«
Sie blieb stehen und rückte von mir ab. Ihre rechte Körperhälfte stand im Regen.
»Terrorismus?«
Ich zog sie wieder unter den Schirm.
»Das ist das, womit sich das Amt in erster Linie beschäftigt, weil es für die nationale Sicherheit verantwortlich ist. Sie
gehen der Möglichkeit nach, dass hier eine terroristische Gruppe eine neue biologische Waffe ausprobiert.«
An Veras unruhig funkelnden Augen sah ich, dass sie nachdachte, welche der vielen Fragen sie zuerst stellen solle.
»Wie setzen sie sie ein?«, fragte sie schließlich.
»Über die Bücher zum Beispiel. Sie vergiften ein Buch mit einer unauffälligen, tödlichen Substanz. Jeder, der damit in Berührung
kommt, muss sterben. Aber es bleibt keine Spur.« Wieder blieb sie stehen und schüttelte dann den Kopf. Ich drehte mich um
und bewog auch sie kehrtzumachen. Wir gingen in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
»Lass uns in die Teestube gehen. Genug der Romantik in der Kälte!«
»Darum hast du mich gefragt, welches Buch sie gelesen haben, bevor sie starben«, sagte sie nach einigen Schritten.
|116| »Ja.«
»Aber warum gerade mein Laden?«
Ich zuckte die Schultern.
»Vielleicht ist es Zufall, vielleicht auch nicht.«
»Wenn nicht aus Zufall, was sonst an unserer Buchhandlung könnte die Terroristen anziehen?«
»Sagen wir, weil ihr im Unterschied zu großen Buchhandlungen keine Videoüberwachung habt.«
»Ich rede schon seit einiger Zeit auf Olga ein, sie einzuführen, aber sie stemmt sich dagegen. Sie ist gegen alle technischen
Neuerungen.«
»Auch ich fände Kameras im ›Papyrus‹ unpassend.«
»Aber wenn sie die Terroristen abschrecken?!«
»Wenn die tatsächlich damit zu tun haben …«
Sie musterte mich von der Seite.
»Du verwirrst mich, Dejan.«
»Ich bin selber verwirrt. Ich tappe im Dunkeln.«
»Wer könnte unsere Kunden sonst noch umbringen außer Terroristen?«
»Ein Serienmörder, der nicht weniger als die Terroristen in eine neue biologische Waffe eingeweiht ist.«
Es verging gut eine Minute, ehe sie sich wieder vernehmen ließ. In der Zwischenzeit hatte der Regen zugenommen, und es war
starker Wind aufgekommen.
»Warum sollte sich ein Serienmörder ausgerechnet unseren Laden aussuchen? Außer, weil wir keine Kameras haben?«
»Dafür könnte es komplexere Gründe geben, nicht nur praktische.«
»Zum Beispiel?«
»Vielleicht hat das alles mit Literatur zu tun?«
»Was für Beziehungen könnte es zwischen den Morden und der Literatur geben?«
»Ich weiß nicht. Es ist nur eine Ahnung. Obwohl natürlich noch gar nicht bewiesen ist, dass es sich um Morde handelt.«
|117| »Mal sehen, was der Hauptkommissar feststellt.«
»Ich fürchte, von ihm werden wir nichts erfahren.«
»Aber er muss uns etwas sagen! Vor allem, wenn es um Terroristen geht.«
»Wenn es Terroristen sind, dann werden sie eure Buchhandlung eine Zeit lang schließen. Ohne
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