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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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immer wies er auf den linken Sessel.
    »Ich wurde soeben von dem Amt angerufen«, fuhr er fort, als ich mich gesetzt hatte.
    »Ich nehme an, sie haben sich beschwert.«
    »Woher wissen Sie?«
    »Sie haben noch nie jemanden angerufen, um ihn zu loben.«
    |164| Der Oberkommissar lächelte säuerlich.
    »Genau. Sie beschweren sich, dass Sie nicht genügend mit ihnen zusammenarbeiten.«
    »Das Gleiche könnte ich denen vorwerfen.«
    »Sie hätten geantwortet, sie seien nicht dazu verpflichtet. Sie wissen schon, wie sie sich sehen. Als Halbgötter.«
    »Wenn die Halbgötter unzufrieden sind mit meiner Zusammenarbeit, weshalb übernehmen sie dann den Fall nicht von uns?«
    »Das habe ich sie auch gefragt.«
    »Und was haben sie geantwortet?«
    »Nichts Konkretes. Sie haben nur gesagt, es sei vorläufig am besten, zweigleisig zu fahren.«
    »Vielleicht würde sich das Problem lösen, wenn Sie den Fall einem anderen Kollegen übertrügen?«
    »Das habe ich ihnen auch vorgeschlagen, doch darauf sind sie ebenfalls nicht eingegangen. Sie verlangen, dass Sie bleiben.
     Ich frage mich, wieso.«
    »Vielleicht denken sie, ich weiß etwas, was sie nicht wissen.«
    Der Oberkommissar setzte sich an seinen großen Arbeitstisch zwischen die zwei Bonsais.
    »Und wissen Sie etwas?«
    »Ich weiß nicht, was die anderen wissen, und deshalb kann ich es auch nicht sagen. Das ist das größte Problem bei der Arbeit
     mit ihnen. Man weiß nie, woran man ist.«
    »Na gut, aber was wissen Sie überhaupt? Wie weit sind Sie gekommen?«
    Ich atmete tief durch.
    »Ich habe noch nichts Verlässliches. Die einfachste Annahme wäre, dass hinter den rätselhaften Todesfällen in der Buchhandlung
     jemand von der Sekte der Anhänger des
letzten Buches
steckt.«
    »Auch für das Amt sind sie die Hauptverdächtigen.«
    |165| »Ich habe gedacht, das Amt für Nationale Sicherheit interessiert sich nicht für Geheimgesellschaften?!«
    »Vielleicht meinen sie, das hat alles mit etwas Bedeutenderem zu tun.«
    »Verborgen sind die Wege der Halbgötter … Haben sie Ihnen gesagt, ob sie gestern Abend jemanden gefasst haben?«
    »Soweit ich verstanden habe – nein. Sie sind mit leeren Händen abgezogen. Ich möchte sagen, auch deshalb sind sie ärgerlich
     auf Sie.«
    »Es wäre alles günstiger gelaufen, wenn wir besser zusammengearbeitet hätten. Wären sie nur einen Augenblick später hereingeplatzt,
     dann hätte ich womöglich die Lösung schon gehabt.«
    »Wirklich?«
    »Ich war dem
letzten Buch
ganz nahe.«
    »Was ist das überhaupt? Warum nennen sie es ›das letzte Buch‹?«
    »Sie glauben, wenn es auftaucht, dann kündet es den Weltuntergang an. Bei Geheimgesellschaften und Sekten dreht es sich gewöhnlich
     um so etwas.«
    »Ich habe verschiedene Geschichten über das Ende der Welt gehört, aber bei keiner ging es um ein Buch.«
    »Auch wenn es nicht das Ende der Welt angekündigt, so hat das Buch doch keinen unpassenden Namen: Es war das letzte für die,
     die es aufgeschlagen haben.«
    »Wie das?«
    »Zuerst dachte ich, es sei vergiftet, nach dem Muster des Romans ›Der Name der Rose‹, aber danach sieht es nicht aus.«
    »Was könnte es denn sonst sein?«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Ich weiß nicht. Und das Amt für Nationale Sicherheit weiß es auch nicht. Mir scheint, das interessiert sie am meisten an
     diesem Fall. Wenn es nur um eine Geheimgesellschaft |166| ginge, egal mit welchem abartigen Glauben, dann würden sie es gern uns überlassen. Aber die Waffe, die hier benutzt wurde,
     könnte sich in weitaus schlimmeren Händen befinden.«
    »Wer hat diese Waffe benutzt? Wer steht hinter allem?«, hakte der Oberkommissar nach.
    »Soviel ich gestern Abend verstanden habe, gab es schon früher Versuche, die Ankunft des
letzten Buches
zu beschleunigen und damit die Offenbarung zu verwirklichen. Ich weiß nicht, inwieweit diese Versuche tödlich waren, aber
     das Sektenmitglied, das derzeit die Fäden in der Hand hält, ist sehr geschickt.«
    »Unbedingt! Wenn Todesfälle eintreten, zu deren Ursache nicht mal das Amt vordringen kann …«
    Ich lächelte.
    »Aber eigentlich, wenn man genauer nachdenkt, taugt seine Waffe nicht gerade zur Massenvernichtung, und so etwas interessiert
     das Amt für Nationale Sicherheit doch vor allem«, mutmaßte ich.
    »Wieso?«
    »Um überhaupt zu wirken, muss das
letzte Buch
geöffnet werden. Aber wie viele Menschen öffnen in unserer Zeit schon ein Buch?«
    »Sagen Sie das nicht! Es wird doch

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