Das letzte Buch
belangloser Gespräche und verschiedene unzusammenhängende
Kleinigkeiten ins Gedächtnis. All das bildete keinen Sinn. Oder zumindest verstand ich ihn nicht.
Gegen halb sieben nahm das Fenster eine blasse Farbe an. Da überkam mich unvermittelt wieder der Eindruck des bereits Gelesenen.
Er hatte mich eigentlich gar nicht losgelassen. Er war nur zeitweise so verhalten gewesen, dass ich mir seiner nicht bewusst
war. Nun verstärkte er sich wieder.
Ich war sicher, schon in irgendeinem Buch auf die Beschreibung einer solchen Morgendämmerung gestoßen zu sein: |158| Der Protagonist liegt wach. Das einzige Geräusch, das er vernimmt, ist das gleichmäßige Atmen seiner schlafenden Frau neben
sich. Er starrt auf die herablaufenden Regenspuren am Fenster. Versucht, ein Geheimnis zu begreifen, doch dessen Lösung entzieht
sich ihm.
Das Geheimnis würde sich lösen, wenn ich mich erinnern könnte, wie es in dem Buch weiterging, doch obwohl ich wusste, dass
ich es bis zum Ende gelesen hatte, waren mir die darauffolgenden Ereignisse nicht greifbar. Sie blieben wie verhüllt von einem
Schleier, der dem Regenvorhang glich. Er war gerade so weit durchlässig, dass ich ahnen, aber nicht klar sehen konnte, was
dahinter war. Schade, dass es hier keinen Scheibenwischer gab. Ich hätte ihn nur einmal einzuschalten brauchen, und alles
hätte sich geklärt.
Vera erwachte zwanzig vor acht. Es schien ihr unangenehm zu sein, als sie sah, dass ich nicht schlief.
»Schau mich nicht an«, sagte sie verschlafen. »Morgens bin ich nicht hübsch.«
Ich rückte zu ihr heran und gab ihr einen Kuss.
»Natürlich bist du das. Ich bin es, der den ganzen Tag schrecklich aussehen wird, weil ich nicht ausgeschlafen bin.«
Sie schaute mich einen Augenblick lang an.
»Wann bist du wach geworden?«
»Gegen halb sechs.«
»Wieder ein Albtraum?«
Ich nickte.
»Das wird schon besorgniserregend! Offenbar bekommt es dir nicht, wenn wir uns lieben.«
Ich lachte auf.
»Was hat denn das Lieben mit meinen schlechten Träumen zu tun?«
»Du hast immer Albträume danach.«
»Es war doch nur zweimal.«
»Ja, aber es gab noch keine Ausnahme.«
|159| »Egal, wir werden den Test wiederholen müssen. Wenn ich auch nach dem, sagen wir, zwanzigsten Mal noch Albträume habe, werden
wir sehen, was zu tun ist.«
»Was können wir schon tun? Damit aufhören. Sollen wir denn zulassen, dass dir dein ruhiger Schlaf abhandenkommt?«
»Keinesfalls werden wir aufhören! Im Gegenteil, wir werden gleich an der Ausweitung des Tests arbeiten.«
Sie küsste mich, rückte aber von mir ab.
»Der Morgen ist nicht gerade meine beste Zeit dafür. Im Übrigen könnte man das jetzt auch nicht als ein Ausweiten des Tests
rechnen. Außer wenn du anschließend wieder einschläfst.«
»Es täte mir gut, noch ein wenig weiterzuschlafen, aber ich muss zur Arbeit.«
»Ich auch. Diese Woche habe ich Frühdienst.«
»Aber wenn ich heute Abend wieder zum Tee eingeladen würde …«
»Zum Feigentee …«
»Natürlich. Obwohl mir auch der für ›Kopf arbeiten‹ nützlich wäre.«
»Arbeitet dein Kopf denn nicht gut?«
»Offenbar nicht gut genug. Mir tun sich immer mehr Rätsel auf.«
»Du kannst den Tee gleich zum Frühstück bekommen. Wenn du mir ein wenig Zeit gibst, dann bringe ich ihn dir wieder ans Bett.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du verwöhnst mich. Lieber helfe ich dir, den Tee zuzubereiten.«
Noch einmal küsste sie mich, dann standen wir beide auf.
Vierzig Minuten später hatten wir das Frühstück in Veras Küche beendet. Der Algentee machte mich schnell munter. Er musste
starke stimulierende Bestandteile enthalten. Womöglich |160| befanden sich einige davon auf der Liste jener Substanzen, für die sich meine Kollegen aus der Rauschgiftabteilung interessierten,
aber das war egal. Ich hätte auch verboteneren Sachen zugestimmt, wenn ich gewusst hätte, dass sie meine wirren Gedanken aufhellen
würden.
»Also, wie kann das Buch tödlich sein, wenn es nicht vergiftet ist?«
Das hatte Vera auch gestern Abend gefragt, aber ich hatte ihr nicht darauf geantwortet. Nur die Schultern gezuckt. Sie hatte
mich nicht gedrängt, doch die Frage schwebte noch immer zwischen uns.
»Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen«, sagte ich und stellte die Tasse ab. »Ich ahne nur, das ist es, worum sich alles
dreht.«
»Meinst du, das Buch wird wieder auftauchen?«
»Es muss! Es ergäbe keinen Sinn, wenn es jetzt verschwände.«
»Nun
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