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Das letzte Buch

Das letzte Buch

Titel: Das letzte Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Zivkovic
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schließen!«
    |183| »Es gibt keinen Grund, ihn zu schließen. Das hier kann jedenfalls nicht mehr lange dauern. Den Fall des
letzten Buches
werden wir bald gelöst haben. Und dann könnte es für euch eine hervorragende Reklame sein.«
    Vera lächelte säuerlich.
    »So eine Reklame möchte ich nicht haben.«
    Eine Zeit lang nippten wir schweigend am Tee. Mein Mut kehrte schnell zurück. Ich wusste, dieses Mal würde die Wirkung noch
     kürzer andauern, doch das verdarb mir nicht die gute Laune.
    »Was sollen wir mit Olga tun?«, fragte Vera, als sie die leere Tasse auf dem Tablett absetzte.
    »Mit Fräulein Bogdanović?«
    »Müssen wir sie darauf aufmerksam machen, dass das
letzte Buch
wieder hier ist?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Besser, sie weiß es nicht. Sie würde sich nur unnötig aufregen.«
    »Aber wenn etwas in ihrer Schicht passiert …«
    »Es wird nichts passieren. Ihr werdet auch am Nachmittag kaum Kunden haben. Außerdem genießt ihr einen besonderen Schutz.«
     Ich hob den Blick. »Nicht wahr, Kollege Milenković?«
    Natürlich antwortete niemand von der Decke her. Als ich den Tee ausgetrunken hatte, machte ich mich wieder daran, die Regale
     durchzusehen. Der Eindruck des bereits Gelesenen war nun gedämpft, sodass ich mich unbeschwert den Buchtiteln widmen konnte.
     Ich war dienstlich hier, doch bald, wohl unter der Wirkung des Tees, fühlte ich mich nicht mehr dienstlich. Ich hörte auf,
     das
letzte Buch
zu suchen, nachdem ich mir selber eingeredet hatte, dass ich mich umsonst bemühte. Stattdessen machte ich mich an etwas Angenehmeres,
     Harmloseres: Ich wählte Bücher aus, die ich in einer ruhigeren Zeit kaufen und lesen wollte.
    |184| Damit beschäftigt, verlor ich das Zeitgefühl. Ich dachte, es sei gerade erst ein Uhr vorbei, doch es war bereits zwei Uhr
     zwanzig, als Fräulein Bogdanović erschien. Sie war wieder die Alte: glattes Haar, dunkles Kostüm, flache Schuhe. Das Gesicht
     ohne eine Spur Schminke. Der Glanz von heute Morgen war völlig verschwunden.
    Es war ihr offenbar nicht angenehm, mich in der Buchhandlung zu sehen. Nachdem Vera ins Hinterzimmer gegangen war, um ihren
     Mantel zu holen, wandte sie sich leise an mich.
    »Haben Sie ihr gesagt, dass ich Sie besucht habe?«
    »Warum sollte ich es ihr sagen?«, fragte ich ebenfalls flüsternd. »Der Besuch war dienstlich.«
    Sie maß mich lange und durchdringend.
    »Dienstlich, auf jeden Fall.«
    Vera erschien mit Mantel und Schirm an der Tür.
    »Ich hoffe, du hast mehr Glück«, sagte sie zu Fräulein Bogdanović. »Es ist noch niemand gekommen.«
    »Gar keiner?«
    Sie zögerte einen Moment. »Abgesehen von uns beiden ist niemand in die Buchhandlung gekommen.«
    »Vielleicht kommen jetzt die Kunden, wenn ich allein bin. Die Bücherfreunde mögen es nicht, wenn die Polizei sie beaufsichtigt.«
    »Olga, ich bitte dich …«
    »Ich mache nur Spaß. Kommissar Lukić nimmt mir das nicht übel, nicht wahr?«
    »Wie sollte ich?!«, fragte ich, als ich mir den Mantel anzog. »Ich möchte auch nicht von der Polizei beaufsichtigt werden!
     Aber das kommt wohl daher, dass ich selbst ein Büchernarr bin.«
    »Ach ja, wie konnte ich das vergessen?!«
    »Komm«, sagte Vera eilig, um zu verhindern, dass die ersten Streitfunken einen Brand auslösten.
    |185| Wir hatten schon die Tür geöffnet, als sie sich umwandte und lächelte.
    »Wir sehen uns.«
    Die schmalen Lippen bogen sich auch ein wenig.
    »Bis bald.«
    Der Regen trommelte auf den Schirm, kaum dass wir unter dem kleinen Vordach heraustraten.
    »Hast du einen Vorschlag?«, fragte Vera und hakte sich bei mir unter.
    »Noch ein Tee würde mir wohltun.«
    »Für ›Kopf arbeiten‹?«
    »Das würde nichts nützen. Mein Kopf wird nicht arbeiten, wenn ich nicht ein bisschen schlafe.«
    »Einen Schlaftee kenne ich nicht.«
    »Ich habe gehört, der Feigentee kann auch dafür gut sein.«

|186| 33.
    Ich rannte lange, ehe mir die Veränderung bewusst wurde. Nichts störte die Eintönigkeit der Samtwände um mich herum. Türen
     waren keine mehr da. Verwirrt blieb ich stehen. Vor mir erstreckte sich der Gang bis ins Unendliche. Weshalb sollte ich in
     dieser Richtung weiterlaufen, wenn es kein Ziel gab? Ich musste umkehren.
    Ich drehte mich um und sah in eine zweite Endlosigkeit. Im selben Moment begriff ich, weshalb ich gerannt war: Ich war vor
     etwas davongelaufen. Zwar hatte mich nichts getrieben, doch ich wusste, dort drohte mir Gefahr. Dorthin durfte ich nicht gehen.
     Ich musste in

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