Das Letzte Einhorn und Zwei Herzen
sagte: »Du wirst ihn mit Leichtigkeit einholen, denn er reitet sehr langsam. Er ist ein guter Mann und ein größerer Held, als irgendeine Sache wert ist. Ich werde alle meine Prinzessinnen zu ihm schicken. Sein Name ist Lír.«
Dann klatschte er dem Pferd aufs Hinterteil und schickte es auf den Weg, den König Lír genommen hatte. Und dann lachte er so lange, dass er danach zu schwach war, um hinter Molly aufzusitzen, und eine Weile neben ihrem Pferd hergehen musste. Als er wieder zu Atem gekommen war, fing er zu singen an, und Molly stimmte mit ein. Und während sie zusammen dahinzogen, aus dieser Geschichte in eine andere, sangen sie:
»Ich bin kein König, bin kein Lord,
bin nicht einmal Soldat«, sprach er,
»ich bin nur ein Harfner, und ein armer dazu,
doch deine Hand, die begehre ich sehr.«
»Und wärst du ein Lord, solltest mein Lord du sein,
und wäre dein Beutel auch leer,
und als Harfner sollst allein mein Harfner du sein,
denn was kümmern mich Gut und Ehr?
Denn was kümmern mich Gut und Ehr?«
»Und wenn aus großer Liebe gelogen ich hält?
Wenn gar kein Harfner ich war?«
»Dann werd ich dich lehren, zu spielen und singen,
denn solch eine Harfe bekomm ich nicht mehr!«
ENDE
ein Bruder Wilfrid findet es einfach ungerecht, dass das alles mir passiert ist. Wo ich doch ein Mädchen bin und noch ein Wickelkind und zu dumm, allein meine Sandalen zu schnüren. Aber ich finde es gerecht. Ich finde, es war alles genau richtig so. Bis auf das Traurige, und vielleicht sogar das.
Ich bin Sooz, und ich bin neun. Zehn im nächsten Monat, wenn sich wieder der Tag jährt, an dem der Greif kam. Wilfrid sagt, das war wegen mir, weil der Greif gehört hatte, dass gerade das hässlichste Kind der Welt geboren worden war, und mich fressen wollte, aber ich war zu hässlich, selbst für einen Greif. Also baute der Greif sich ein Nest im Midwood (so nennen wir den Wald, obwohl er eigentlich Midnight Wood heißt, weil es unter den Bäumen so finster ist) und blieb hier, um unsere Schafe und Ziegen zu fressen. Wie es Greife eben tun, wenn es ihnen irgendwo gefällt.
Aber Kinder fraß er nie, bis dieses Jahr.
Ich habe ihn nur einmal gesehen – ich meine, nur einmal vorher –, als er eines Abends über den Bäumen emporstieg wie ein zweiter Mond. Nur dass da kein Mond war an dem Abend. Da war gar nichts auf der ganzen weiten Welt, nur der Greif: die goldenen Federn am Löwenleib und an den Adlerschwingen lodernd, die mächtigen Vorderkrallen wie Zähne und der Monsterschnabel so riesig im Verhältnis zu seinem Kopf… Wilfrid sagt, ich hätte drei Tage lang geschrien, aber das ist gelogen, und ich habe mich auch nicht im Erdkeller versteckt, wie er behauptet, ich habe die beiden Nächte in der Scheune geschlafen, bei unserem Hund Malka. Weil ich wusste, Malka lässt nicht zu, dass mich irgendwas holt.
Sicher, meine Eltern hätten es auch nicht zugelassen, nicht, wenn sie’s hätten verhindern können. Aber Malka ist einfach der größte und beherzteste Hund im ganzen Dorf und fürchtet sich vor gar nichts. Und nachdem der Greif Jehane geholt hatte, die kleine Tochter vom Schmied, konnte man gar nicht nicht merken, wie erschrocken mein Vater war, weil er die ganze Zeit herumrannte, zu den anderen Männern, um eine Art Wache zu organisieren, damit die Leute immer Bescheid wussten, wenn der Greif kam. Ich weiß, er hatte Angst um mich und meine Mutter und tat alles, um uns zu beschützen, nur dass ich mich davon nicht sicherer fühlte, aber bei Malka wohl.
Aber es wusste ja sowieso keiner, was tun. Mein Vater nicht und auch sonst niemand. Es war ja schon schlimm genug, wenn der Greif Schafe holte, weil hier fast jeder davon lebt, dass er Wolle oder Käse oder Schaffelle verkauft. Aber dass er dann im letzten Vorfrühling Jehane holte, das änderte alles. Wir schickten Boten zum König – drei verschiedene – und jedesmal schickte der König jemanden mit ihnen zurück. Das erste Mal war es nur ein Ritter, einer allein. Er hieß Douros und schenkte mir einen Apfel. Er ritt singend los, in den Midwood, um Ausschau nach dem Greif zu halten, und wir haben ihn nie wiedergesehen.
Das zweite Mal – als der Greif Louli geholt hatte, den kleinen Gehilfen vom Müller – schickte der König gleich fünf Ritter. Einer von ihnen kam zwar wieder, aber er starb, bevor er irgendjemandem erzählen konnte, was passiert war.
Das dritte Mal kam eine ganze Schwadron. Das sagte jedenfalls mein Vater. Ich weiß nicht,
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