Das letzte Einhorn
gerunzelt war, lag weder Freundlichkeit noch Milde darin. Es war der Kopf eines Hechtes, lange, gerade Kinnladen, harte Wangen, ein sehniger, kraftstrotzender Nacken. Er mochte siebzig Jahre alt sein, achtzig oder noch älter. Der andere Wächter trat hinzu, seinen Helm unterm Arm. Molly Grue schnappte nach Luft, als sie sein Gesicht sah: es war das freundliche, zerknitterte Gesicht des jungen Prinzen, der ein Journal gelesen hatte, während seine Prinzessin versuchte, ein Einhorn herbeizulocken. König Haggard sagte: »Das ist Lir.«
»Tag!« sagte Lir. »Herzlich willkommen.« Sein Lächeln umschwänzelte ihre Füße wie ein verspielter junger Hund, doch seine Augen – ein tiefes, beschattetes Blau hinter struppigen Wimpern – ruhten gelassen auf der Lady Amalthea. Sie blickte zurück, schweigend wie ein Edelstein, sah ihn so wenig wie Menschen Einhörner sehen. Der Prinz jedoch fühlte eine sonderbare, glückliche Gewissheit, dass sie ihn von Kopf bis Fuß betrachtet hatte, bis in Schächte hinein, von deren Vorhandensein er bisher nichts geahnt und in denen jetzt ihr Blick klingend und singend hallte. Wunderbare Verheißungen erwachten irgendwo südwestlich seiner zwölften Rippe, und während er die Lady Amalthea widerspiegelte, begann er selbst zu leuchten. »Was ist euer Begehr?« Schmendrick räusperte und verbeugte sich vor dem blaßäugigen Mann. »Wir möchten in deine Dienste treten. Weit und breit hat der berühmte Hof des Königs Haggard …«
»Ich brauche keine Diener.« Der König wandte sich ab, Gesicht und Körper erschlafft vor Gleichgültigkeit. Doch spürte Schmendrick, dass unter dieser steinfarbenen Haut und an den Wurzeln des grauen Haares Neugier lauerte. Vorsichtig sagte er: »Du hast doch sicherlich ein Gefolge, einen Hofstaat. Einfachheit ist der reichste Schmuck eines Königs, das gesteh’ ich dir gern zu, aber für einen König wie Haggard …«
»Mein Interesse an dir schwindet«, unterbrach ihn die scharrende Stimme, »und das ist sehr gefährlich. In einer Sekunde habe ich dich gänzlich vergessen und werde mich nie mehr erinnern können, was ich mit dir gemacht habe. Was ich vergesse, hört nicht nur auf zu existieren, das hat es nie gegeben!« Bei diesen Worten richtete er, genau wie sein Sohn, die Augen auf die Lady Amalthea.
»Mein Hof, wie du ihn zu nennen beliebst, besteht aus vier Soldaten. Ich käme gern ohne sie aus, wenn das ginge, denn sie kosten mehr, als sie wert sind, wie alles andere auch. Sie wechseln sich ab als Wächter und Köche, und aus der Ferne sehen sie aus wie eine Armee. Was für andere Bedienstete sollte ich brauchen?«
»Aber die höfischen Vergnügungen!« rief der Zauberer, »Musik, Konversation, Damen und Springbrunnen, Jagden und Maskenfeste, die Hofbälle!«
»Sie bedeuten mir nichts«, sagte König Haggard. »Ich habe sie alle mitgemacht, und sie haben mich nicht glücklich gemacht. Ich dulde nichts in meiner Nähe, was mich nicht glücklich macht.«
Die Lady Amalthea ging lautlos an ihm vorüber zum Fenster und blickte hinaus auf das nächtliche Meer.
Schmendrick fand allmählich die Sprache wieder. »Ich verstehe dich vollkommen! Wie fad und flau, wie närrisch und nutzlos sind die Vergnügungen dieser Welt für dich! Du bist der Wonnen überdrüssig, bist übersättigt von Sensationen, gelangweilt von diesem Schnickschnack. Ein wahrhaft königliches Leiden! Und deshalb wünscht sich niemand mehr die Dienste eines Zauberers als ein König, denn nur ein Zauberer sieht die Welt als etwas immerfort Fließendes, unendlich Veränderliches, ewig Neues. Nur er kennt das Geheimnis von Wechsel und Wandel, nur er weiß wirklich, dass alle Dinge geduckt darauf lauern, etwas anderes zu werden. Und aus dieser universalen Spannung bezieht er seine Kraft.
Für einen Zauberer ist März Mai, ist Schnee grün und Gras grau, dies ist das, oder was immer ihm beliebt. Leg dir noch heute einen Zauberer zu!«
Er beendete seine Ansprache auf eine ausgebreiteten Armen. König Haggard murmelte nervös: »Steh auf, steh auf, du bereitest mir Kopfschmerzen. Im übrigen habe ich schon einen Hofzauberer.«
Mühsam erhob sich Schmendrick, sein Gesicht war rot und sehr enttäuscht. »Davon hast du kein Wort gesagt. Wie heißt er denn?«
»Sein Name ist Mabruk«, erwiderte König Haggard. »Ich spreche nicht oft von ihm. Selbst meine Soldaten wissen nicht, dass er im Schloss lebt. Mabruk ist all das, was nach deinen Worten eine Zauberer sein soll, und darüber
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