Das letzte Einhorn
Mabruk ärgert man nicht ungestraft!«
Ein Wind erhob sich in der dunklen Kammer. Er kam von allen Seiten, drang durchs Fenster, durch die halbgeöffnete Tür, doch sein Ursprung war die gekrümmte Gestalt des Hexenmeisters. Kalt und widerlich war dieser Wind, ein feuchter, zischender Sumpfwind, der hierhin und dorthin sprang, wie ein spielerisches Tier, das plötzlich die Hinfälligkeit der Menschen entdeckt. Molly Grue suchte Schutz bei Schmendrick, dem es sichtbar unbehaglich zumute war. Prinz Lir bewegte sein Schwert in der Scheide auf und ab.
Sogar König Haggard wich vor dem triumphierenden Grinsen des alten Mabruk einen Schritt zurück. Die Wände des Raumes schienen zu tauen und zu zerlaufen, das sternenbesetzte Gewand des Hexenmeisters weitete sich zur unendlichen, heulenden Nacht. Mabruk sprach kein Wort, doch der Wind begann ein böses, grunzendes Heulen, als er an Stärke zunahm. Im nächsten Augenblick musste er sichtbar werden, mit einem Donnerschlag Gestalt annehmen. Schmendrick öffnete den Mund, doch wenn er einen Gegenzauber versuchte, so blieb dieser unhörbar und ohne Wirkung. In dem Dunkel sah Molly Grue, wie die Lady Amalthea in der Ferne am Fenster sich wandte und eine Hand ausstreckte, an welcher Ring- und Mittelfinger von gleicher Länge waren. Das Mal auf ihrer Stirn leuchtete wie eine Blume.
Der Wind verschwand, als ob er nie geweht, die steinernen Wände umgaben sie wieder, und nach Mabruks Nacht wirkte die düstre Kammer jetzt mittäglich heiter. Der Zauberer kroch beinahe am Boden, starrte die Lady Amalthea an. Sein weises, gütiges Gesicht sah aus wie das Gesicht eines Ertrunkenen, sein Bart fiel schütter vom Kinn wie abgestandenes Wasser. Prinz Lir nahm ihn beim Arm.
»Komm, Großväterchen«, sagte er nicht unfreundlich, »da hinaus, so. Ich werde dir einen Empfehlungsbrief schreiben.«
»Ich gehe«, rief Mabruk, »nicht aus Furcht vor dir, du Klumpen alten Teiges, noch aus Angst vor deinem undankbaren, verrückten Vater, und schon gar nicht eures neuen Zauberers wegen, viel Glück wünsch’ ich euch mit dem.« Seine Augen begegneten den wölfischen Augen des Königs, und er lachte meckernd.
»Haggard, um nichts in der Welt möcht’ ich an deiner Stelle sein!« sagte er. »Du hast dein Verderben zur Vordertür hereingelassen, doch ich bin sicher, dass es auf einem anderen Wege gehen wird. Ich würde mich genauer ausdrücken, doch steh’ ich nicht mehr in deinen Diensten. Das ist jammerschade, denn eine Zeit wird kommen, wo nur ein Meister dich wird retten können – und in jener Stunde wird Schmendrick deine Stütze sein! Leb wohl, armer Haggard, leb wohl!«
Lachend verschwand er, doch sein Frohlocken hielt sich noch lange in den Ecken und Winkeln der Kammer, wie der Geruch von Rauch oder der von altem, kaltem Staub.
»So«, sagte der König im grauen Mondlicht; er kam langsam auf Molly und Schmendrick zu, seine Schritte waren geräuschlos, sein Kopf wackelte beinahe spielerisch hin und her. »Rührt euch nicht!« befahl er dann. »Ich will eure Gesichter sehen.«
Sein Atem raspelte wie ein Messer am Schleifstein, als er die beiden musterte. »Näher«, brummte er, »kommt näher, noch näher! Ich möchte euch ganz genau sehen.«
»Dann mach ein Licht an«, sagte Molly Grue. Die Gelassenheit der eigenen Stimme, jagte ihr mehr Angst ein als das Wüten des alten Hexenmeisters. ›Um ihretwillen mutig zu sein, da ist leicht‹, dachte sie, ›aber wenn ich einmal anfange, um meinetwillen mutig zu sein, wo soll das enden?‹ »Ich mache nie Licht«, erwiderte der König. »Was wäre der Nutzen von Licht?«
Er wandte sich von ihnen ab, wobei er vor sich hinmurmelte: »Das eine Gesicht ist so gut wie ohne Arg, beinah töricht, doch nicht töricht genug. Das andere Gesicht ist wie mein eigenes, und das bedeutet Gefahr. Das alles habe ich schon am Tor gesehen, warum ließ ich sie nur herein? Mabruk hat recht, ich bin alt geworden, kindisch und leichtsinnig. Und doch, wenn ich in ihre Augen blicke, dann sehe ich nichts als mich selbst.«
Prinz Lir zappelte aufgeregt hin und her, als der König auf die Lady Amalthea zuging. Sie sah wieder aus dem Fenster, und Haggard stand schon fast neben ihr, bevor sie herumfuhr und ihren Kopf seltsam senkte. »Ich werde dich nicht berühren«, sagte er, und sie blieb stehen.
»Warum weilst du am Fenster«, wollte er wissen. »Was siehst du dir an?«
»Ich betrachte das Meer«, antwortete die Lady Amalthea. Ihre Stimme klang leise und
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