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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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bebend, aber nicht aus Furcht, sondern aus Lebensfülle, wie ein neuer Schmetterling in der Sonne bebt und zittert.
    »Ja«, sagte Haggard, »ja, das Meer ist immer gut. Es gibt nichts, was ich lange anzusehen vermag, außer dem Meer.« Doch er starrte weiterhin ihr Gesicht an, ohne dass sein Gesicht etwas von ihrem Glanz gespiegelt hätte – wie Prinz Lirs Gesicht das getan hatte –, sein Gesicht saugte diesen Glanz vielmehr auf und barg ihn irgendwo. Sein Atem roch so modrig wie der Wind des Zauberers, doch die Lady Amalthea rührte sich nicht.
    Plötzlich rief er: »Was ist nur mit deinen Augen? Sie sind voll grüner Blätter, sie quellen über von Bäumen und Bächen und kleinem Getier! Wo bin ich? Warum kann ich mich in deinen Augen nicht selber sehen?«
    Die Lady Amalthea gab ihm keine Antwort. Der König fuhr herum, heftete seinen Blick auf Molly und Schmendrick. Sein säbelscharfes Lächeln legte sich kalt um ihre Hälse. »Wer ist sie?« fragte er drohend.
    Schmendrick bekam einen Hustenanfall, dann stotterte er: »Die Lady Amalthea ist meine Nichte. Ich bin ihr einziger lebender Verwandter und deshalb ihr Vormund. Sicher verwundert dich der Zustand ihrer Gewänder, doch der ist leicht erklärt: Wir wurden unterwegs von Räubers überfallen und unsrer ganzen Habe beraubt …«
    »Was für einen Unsinn faselst du da? Was soll mit ihrer Kleidung sein?« Haggard drehte sich nach dem –weißen Mädchen um, und Schmendrick begriff in diesem Moment, dass weder der König noch sein Sohn bemerkt hatte, dass es unter den Fetzen des Mantels nackt war. Die Lady Amalthea trug Hadern und Lumpen so, als wären sie allein die einer Prinzessin geziemenden Gewänder; im übrigen war sie sich gar nicht bewusst, dass sie unter dem Mantel nichts anhatte. Vor ihr schien der König in seiner Rüstung nackt und bloß.
    Haggard sagte: »Was sie trägt, was euch zugestoßen sein mag, wie ihr zueinander steht – das alles ist für mich glücklicherweise belanglos, hier magst du mich belügen, sowie du willst. Ich will wissen, wer sie ist! Ich will wissen, wie sie Mabruks Magie gebrochen hat, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Ich will wissen, warum in ihren Augen glänzendes Laub und Fuchswelpen zu sehen sind. Antworte schnell und meide die Lüge, besonders was das glänzende Laub angeht! Antworte!« Schmendrick ließ sich Zeit. Er brachte ein paar wichtig klingende Laute hervor, doch kein verständliches Wort. Molly Grue nahm ihren ganzen Mut zusammen, obgleich sie argwöhnte, es sei unmöglich, König Haggard die Wahrheit zu sagen. Es lag etwas in seiner winterlichen Person, das alle Worte erfrieren ließ, alle Begriffe verwirrte und ehrliche Absichten zu Gebilden verbog, die so verzerrt waren wie die Türme seines Schlosses. Sie hätte dennoch gesprochen, wenn nicht eine andere Stimme erklungen wäre. Die helle, freundliche, einfältige Stimme des jungen Prinzen Lir scholl durch die düstere Kammer: »Vater, was liegt dir denn daran. Sie ist nun einmal hier!«
    König Haggard seufzte. Es war kein angenehmer Laut, er klang tief und schabend, kein Laut des Verzichts, sondern das grollende Verharren eines zum Sprunge geduckten Tigers. »Du hast recht, sie ist jetzt hier, sie alle sind hier, und ob sie nun mein Verderben bedeuten oder nicht: ich werde sie mir eine Weile anschauen. Ein angenehmer Hauch von Unheil haftet ihnen an, vielleicht ist es das, was ich mir wünsche.«
    Dann sagte er kurz angebunden zu Schmendrick: »Als mein Hofzauberer wirst du mich unterhalten, wenn ich Unterhaltung begehre, abwechselnd tiefsinnig und erheiternd. Es wird von dir erwartet, zu wissen, wann du gewünscht wirst und in welcher Verkleidung, denn ich habe weder Zeit noch Lust, meine Launen und Wünsche zu erklären. Du bekommst keinen Lohn, denn das war sicherlich nicht der Grund, der dich hierhergeführt hat. Was deine Dulcinea betrifft, deine Assistentin, oder wie immer du sie nennen magst, so wird sie mir ebenfalls dienen, wenn sie im Schloss bleiben will. Von heute Abend an wird sie Köchin und Zimmermädchen, Putzfrau und Küchenmagd in einer Person sein.«
    Er hielt inne, wartete anscheinend darauf, dass Molly protestierte, doch sie nickte nur zustimmend. Der Mond war am Fenster vorübergezogen, aber Prinz Ur stellte fest, dass der Raum deshalb nicht dunkler ward. Die kühle Helle der Lady Amalthea nahm langsamer zu als Mabruks Wind, doch der Prinz begriff sehr wohl, dass sie bei weitem gefährlicher war. Er wollte in diesem Licht

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