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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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leiser Stimme sagte sie: »Ich wäre zurückgekommen. Ich weiß nicht, weshalb ich hier bin, und ich weiß nicht, wer ich bin. Aber ich wäre zurückgekommen.«
    »Nein«, antwortete der Prinz, »nie wärest du zurückgekommen!«
    Bevor er weitersprechen konnte, mischte sich Molly ein, rief – sehr zu ihrer eigenen Überraschung –: »Das ist doch jetzt ganz gleichgültig! Wo ist Schmendrick?« Die beiden Fremden blickten sie höflich verwundert an, verwundert, dass noch andere Menschen auf dieser Welt etwas zu sagen hatten, und Molly fühlte sich von Kopf bis Fuß erzittern. »Wo ist er? Wenn du. nicht zurückgehst, werde ich es tun!«, und sie machte sich bereit.
    Er kam aus dem Nebel, ging mit gebeugtem Kopf, als müsse er gegen einen heftigen Wind anlehnen. Eine Hand presste er gegen seine Schläfe. Als er die Hand wegnahm, sickerte Blut die Wange hinab.
    »Halb so schlimm«, sagte er, als er das Blut auf Molly Grues Hände tropfen sah. »Es ist nur ein Kratzer. Ich konnte nicht eher hindurch.« Er verneigte sich zittrig vor Prinz Lir. »Ich dachte mir schon, dass du derjenige warst, der in der Halle an mir vorüberging. Sag mir, wie du so leicht durch die Uhr gekommen bist. Der Schädel sagte, du wüsstest den Weg nicht.«
    Der Prinz sah sehr verwirrt aus. »Welchen Weg« fragte er. »Was gab es da zu wissen? Ich sah sie und bin ihr gefolgt.«
    Schmendricks Lachen rieb sich an den rohen Wänden wund, die auf sie zugeschwommen kamen, als ihre Augen sich an die neue Dunkelheit gewöhnten. »Natürlich«, sagte er, »einige Dinge haben von ’Natur aus ihre eigene Zeit.« Er lachte wieder und schüttelte den Kopf, das Blut begann von neuem zu fließen. Molly riss ein Stück von ihrem Rock ab.
    »Die armen alten Männer«, sagte der Zauberer. »Sie wollten mir nicht wehtun, und ich ihnen ebenso wenig. Wir hüpften und hopsten umeinander herum, baten uns um Verzeihung, und Haggard brüllte, und ich stieß die ganze Zeit gegen diese Uhr. Ich wusste, dass es keine wirkliche Uhr war, doch sie hat sich sehr real angefühlt. Dann kam Haggard mit seinem Schwert heran und traf mich.« Er schloss die Augen, als Molly seinen Kopf verband. »Haggard, allmählich gewann ich ihn gern. Ich mag ihn immer noch. Er sah so verängstigt aus.« Die fernen, schwachen Stimmen des Königs und seiner Wächter schienen lauter zu werden.
    »Ich versteh’ dich nicht«, sagte Prinz Lir. »Warum sollte er verängstigt gewesen sein, mein Vater. Was hat er …?« In diesem Moment hörten sie jenseits der Uhr ein Triumphgeheul und ein gewaltiges Krachen. Der flirrende Nebel verschwand unverzüglich, von allen Seiten stürzte schwarzes Schweigen über sie herein. »Haggard hat die Uhr zerstört«, sagte Schmendrick nach einer Weile. »Jetzt gibt es keinen Weg zurück und keinen hinaus – außer am Roten Stier vorbei.« Ein schwerer brackiger Wind erhob sich.

 
    Der Weg war so breit, dass sie alle nebeneinander hätten gehen können, aber sie zogen im Gänsemarsch dahin. Die Lady Amalthea schritt voran, weil sie es so wollte; Prinz Lir, Schmendrick und Molly Grue richteten sich nach dem Leuchten ihres Haares, doch der Lady Amalthea ging kein Licht voran. Sie wandelte so mühelos, als wäre sie schon früher hier gewesen.
    Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wo sie sich befanden. Der kalte Wind und der ihm beigemischte faule Geruch schienen Wirklichkeit zu sein, und die Finsternis ließ sie viel unwilliger passieren, als die Uhr es getan hatte. Der Weg besaß Realität genug, um ihre Füße weh und wund zu stoßen, sie bisweilen mit Steinen und Erdmassen, die von den Höhlenwänden abbröckelten, fast zu erdrücken, doch sein Verlauf war nur in einem Traume möglich. Verdreht und schief, sich krümmend und kräuselnd, wellte und wand er sich in die Nacht hinein. Bald fiel er schroff ab, bald stieg er sanft an, hier bauschte er sich aus, dort verengte er sich, formte Schleifen und Schnecken, die sie wieder zurückzuführen schienen, zurück unter die Schloßhalle, in der König Haggard zwischen einer geborstenen Uhr und einem zu Staub zerfallenen Schädel wütete, ›Hexenwerk‹, dachte Schmendrick, ›und nichts von Hexenhand ist von Bestand.‹ Aber dann setzte er hinzu: ›Doch dies muss das Letzte sein; wenn es nicht das Letzte ist, wird uns dieser Spuk überwältigen.‹
    Während sie so dahinstolperten, gab er Prinz Lir hastig einen Bericht von ihren Abenteuern; er begann mit seiner eigenen, seltsamen Lebensgeschichte und seinem bösen

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