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Das letzte Einhorn

Das letzte Einhorn

Titel: Das letzte Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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das Geringste hören oder sehen. Molly sprach beruhigend und ermunternd auf die Lady Amalthea ein, die weder eine Antwort gab noch zurücksah.
    Der Singsang brach unvermittelt ab, Schmendrick, setzte das Flakon an seine Lippen. Er roch daran und murmelte: »Schwach, sehr schwach, kaum Bukett. Noch niemand hat guten Wein mit Zauberei gemacht.« Dann neigte er das Fläschchen, schüttelte es, starrte es an, und mit einem schrecklichen Lächeln drehte er es um. Nichts lief heraus, nicht das Geringste.
    »Erledigt«, sagte Schmendrick fast fröhlich. Er leckte mit ausgetrockneter Zunge über seine trockenen Lippen und wiederholte: »Erledigt, aus und vorbei.« Immer noch lächelnd hob er das Flakon und machte Anstalten, es quer durch die Halle zu schleudern.
    »Nein, halt, warte, tu’s nicht!« Die klatternde Stimme des Totenkopfes protestierte so verzweifelt, dass Schmendrick innehielt, ehe das Fläschchen seine Hand verließ. Molly und er drehten sich zusammen nach dem Schädel um, der – so ungeheuer war seine Qual – angefangen hatte, hin und herzuwackeln, wobei sein mürber Hinterkopf schwer gegen die steinerne Säule schlug, während er sich zu befreien suchte. »Halt ein!« jammerte er. »Ihr müsst ja verrückt sein, mit Wein so umzugehen! Gebt ihn mir, wenn ihr ihn nicht wollt, aber werft ihn um Himmelswillen nicht weg!« Er wackelte und schlingerte wimmernd auf der Säule.
    Ein verblüffter, träumerischer Ausdruck zog über Schmendricks Gesicht, es sah aus, als zöge eine Regenwolke über trockenes Land. Verwundert fragte er: »Was könntest du mit Wein anfangen, du, der du keine Zunge zum Schmecken, keinen Gaumen zum Genießen, keine Gurgel zum Hindurchjagen hast? Fünfzig Jahre tot, wie ist es möglich, dass du dich immer noch erinnerst, immer noch voll Sehnsucht …«
    »Fünfzig Jahre tot, was bleibt mir andres übrig.« Der Schädel stellte sein groteskes Zappeln ein, doch Enttäuschung und Gier gaben seiner Stimme einen menschlichen Klang. »Ich erinnere mich«, sprach er, »ich erinnere mich an mehr als nur an Wein. Gib mir einen Schluck, nur ein Schlückchen, und ich werde ihn genießen, wie ihr es niemals könnt, ihr, die ihr noch Fleisch und Blut seid, Nerven und Organe besitzt. Ich habe Zeit zum Nachdenken gehabt. Ich weiß, was Wein ist. Gib her!«
    Schmendrick schüttelte grinsend den Kopf. »Du kannst gut reden, doch leider fühle ich mich in der letzten Zeit auch etwas boshaft.« Zum dritten Mal hob er das leere Flakon, der Schädel stöhnte auf in Todesnot.
    Mitleidig sagte Molly Grue: »Aber das ist nicht …«, doch der Zauberer trat ihr auf den Fuß. »Natürlich«, überlegte er laut, »wenn du dich an den Eingang zur Höhle des Roten Stieres erinnern könntest – so gut, wie du dich an den Wein erinnern kannst –, dann gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, Ins Geschäft zu kommen.« Er schwenkte das Fläschchen lässig zwischen zwei Fingern.
    »Einverstanden!« schrie der Schädel augenblicklich. »Topp und abgemacht, nur her damit! Der Gedanke an Wein hat mich durstiger gemacht, als ich in meinem ganzen Leben war, solange ich noch eine trockene Kehle hatte. Nur einen einzigen Zug, und ich werde alles sagen, was du wissen willst.« Die morschen Kiefer begannen gierig zu mahlen, die schiefrigen Zähne bebten und barsten.
    »Gib’s ihm«, flüsterte Molly; sie verging vor Angst, die leeren Augenhöhlen könnten sich mit Tränen füllen, doch Schmendrick schüttelte den Kopf.
    »Ich werde dir alles geben – sobald du uns gesagt hast, wie wir den Stier finden.«
    Der Schädel seufzte, zögerte aber keinen Augenblick. »Durch die Uhr«, sagte er. »Ihr geht einfach durch die Uhr und seid am Ziel. Kann ich jetzt, bitte, den Wein haben?«
    »Durch die Uhr!« rief der Zauberer-, er drehte sich um und spähte in den Winkel der großen Halle, wo die Uhr stand. Sie war groß, schwarz und schlank, das Schattenbild einer Uhr. Das Glas über dem Zifferblatt war geborsten, der Stundenzeiger fehlte. Hinter dem trüben Glas war das Uhrwerk kaum sichtbar, es drehte sich und zuckte hin und her, so munter wie ein Fisch im Wasser. Schmendrick fragte: »Du meinst, wenn die Uhr die richtige Stunde schlägt, öffnet sie sich, ein Gang wird sichtbar, eine Geheimtreppe?« Seine Stimme klang zweifelnd, denn die Uhr schien viel zu schmal für solch einen Durchgang zu sein.
    »Darüber weiß ich nichts«, erwiderte der Schädel. »Wenn du warten willst, bis diese Uhr die richtige Stunde schlägt, wirst du

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