Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
derjenigen, die Euch anvertraut sind!« Ich deute auf Jesus Christus. » Er wird es nicht tun!«
Schon will ich mich abwenden, als hinter mir eine gewaltige Explosion die Luft zum Erzittern bringt.
Ich lehne mich über die Brüstung.
Mehmed galoppiert über das Schlachtfeld, springt über Geschütze und Kisten und Körbe mit Munition hinweg und kommt rasend schnell näher. Hitzig brüllt er seine fliehenden Männer an. Konstantin schlägt den Sturmangriff zurück.
Eine dichte Wolke aus Rauch und Staub liegt über dem Schlachtfeld, denn ein Teil der Barrikade aus Holz, Steinen und Erde ist mit Donnergetöse eingestürzt. Der Gefechtslärm macht mich beinahe taub. Nur gedämpft höre ich, dass die Kirchenglocken von Byzanz Sturm läuten, wie Arkebusen krachen, Schwerter scheppernd auf Schilde und Helme prallen, Kettenhemden klirren, lederne Rüstungen knartschen, Pfeile schwirren, Knochen brechen, Fleisch zerreißt. Und über allem liegt der Klang der türkischen Trommeln, Trompeten und Zimbeln, während die Janitscharen auf das Schlachtfeld jagen.
Steine zerschmettern Helme und Schädel, heißes Pech versengt zischend die Haut unter den Rüstungen, Bolzen aus Armbrüsten treffen dumpf auf Rippen, Lanzen und Keulen zertrümmern Hände, Arme und Beine, und das Griechische Feuer verwandelt die Angreifer in menschliche Fackeln.
In diesem höllischen Getöse sind die menschlichen Laute kaum noch zu hören: Befehle, Gebete, Flüche, Weinen, Stöhnen, Schmerzensschreie und das leise Seufzen der Sterbenden, die niemand aus diesem Gemetzel herausbringt.
Ein Banner des Sultans, eben noch siegesgewiss bis zur Mauer getragen, versinkt in einer schwarzen Rauchwolke und geht gleich darauf in einer Ladung Griechischem Feuer in Flammen auf.
Ein Sieg? Niemals!
Wilde Angst befällt die Verteidiger, die sich seit Stunden verzweifelt wehren. Die Angreifer werden mutig zurückgeschlagen, umzingelt und niedergemetzelt. Die Türken wanken. Doch mit Schwert- und Keulenschlägen treiben ihre Offiziere sie zurück in den Kampf.
Mein Blick irrt über die bewegte Szene.
Wo ist Konstantin?
Kapitel 69
Auf den Mauern von Konstantinopolis
29. Mai 1453
Viertel nach sechs Uhr morgens
Verdammt, Sandra!« Cesare muss brüllen, damit ich ihn überhaupt verstehen kann. Er deutet in die Richtung des Kaiserpalastes. »Die Türken stoßen auf unsere Position auf der Blachernen-Mauer vor! Die innere Mauer ist so zerschossen, dass sie jeden Augenblick zusammenbrechen kann. Wir müssen den drei Bocchiardi-Brüdern und ihren Genuesen beistehen.«
»Nein! Du und ich, fünf Bravi und zwei Johanniter. Was sollen wir neun da wohl ausrichten? Die Bocchiardi-Brüder sind erfahrene Kämpfer. Paolo, Antonio und Troilo kommen schon seit gestern Abend ohne uns zurecht. Sieh mal, die Jungs machen wieder einen Ausfall durch die Kerkoporta!«
»Was hast du vor?«, fragt Cesare irritiert.
Ich deute auf das Schlachtgetümmel hinter uns. Giovanni Giustiniani liegt verletzt am Boden. Konstantin kniet neben ihm und redet auf ihn ein. »Ich muss zu ihnen. Giovanni ist schwer verletzt. Siehst du, wie er blutet? Er muss vom Schlachtfeld weggebracht werden, sonst stirbt er.«
»Du willst sein Kommando übernehmen.«
»Es ist sonst niemand mehr da.«
»Das ist purer Wahnsinn!«, wirft Fra Galcerán ein.
»Wenn ich Eure Einschätzung zur Lage oder Eure Meinung über meinen Geisteszustand hören will, Frater, dann werde ich Euch das wissen lassen«, bringe ich ihn resolut zum Schweigen. »Ansonsten haltet die Klappe, seid so gut!«
Auch Fra Diniz begehrt gegen meine Entscheidung auf. »Aber Fra Galcerán hat recht …«
»Geht mir nicht auf die Nerven, Frater!«, stutze ich ihn zurecht. » Ich habe das Kommando!«
Cesares Blick fliegt zu den heranrückenden Yeniçeriler. Der Sultan führt sie bis zum Graben vor der Außenmauer und feuert sie an, sich in den Kampf zu werfen. »Dieser Bastardo del Diavolo meint es ernst. Mehmed schickt die Yeniçeriler in die Schlacht. Er weiß, dass er durchbrechen muss, bevor der Angriff zusammenbricht.«
»Ich meine es auch ernst, Cesare. Kommst du mit?«
»Habe ich denn eine Wahl?«
»Seit gestern Abend nicht mehr.«
Er grinst matt. »Wenn wir nach Rom zurückkehren, kannst du dich auf was gefasst machen, mein Schatz«, droht er mir. »Ich lass mich nämlich von dir scheiden.«
Trotz meiner Anspannung muss ich lachen. »Tust du nicht. Du liebst mich nämlich …«
»Kann ich die Passage mit dem ›lebenslänglich‹ noch
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