Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Goldenen Horn, der Venezianer Alvise Diedo kommandiert die venezianisch-griechische Flotte im Hafen, Kardinal Isidor verteidigt mit einer Handvoll orthodoxer Priester und Mönche die Akropolis nahe der Hagia Sophia, und ein Kontingent Katalanen widersteht den Türken auf den Seemauern zum Marmarameer.
»Alessandra!« Konstantin winkt mich zu sich.
Ich reiße meinen Blick vom Schlachtfeld los und gehe zu ihnen hinüber.
»Wir sind uns darüber einig, dass sich der entscheidende Angriff gegen die geschwächte Mauer zwischen dem Charisios- und dem Romanos-Tor richten wird, wo wir die Barrikade errichtet haben. Dort hat Mehmed seine stärkste Feuerkraft konzentriert.«
Ich blicke in verkniffene Gesichter. Alle nicken.
»Seit gestern Abend gibt es neun große Breschen in der Außen mauer, einige davon bis zu dreißig Schritt breit. Die errichtete Bar rikade aus zusammengenagelten Holzbalken und Steinen aus den Mauerresten, Ästen, Zweigen, Schilf und Erde kann die Türken nicht lange aufhalten. Obwohl wir alle …« Er deutet auf einen schwarz gekleideten Mönch mit Schleierhaube, der einen Korb mit Steinen und Erde an uns vorbeischleppt, und auf einen kleinen Jungen, der mit einem Arm voller Waffen über die Wehrmauer rennt: Armbrüste, Langbogen, Pfeile, Schwerter, Keulen. Über seiner Schulter hängt eine ganze Girlande von scheppernden Helmen. »… obwohl wir alle Tag und Nacht daran arbeiten und die Barrikade inzwischen so hoch ist wie die zuvor eingestürzte Mauer, wird sie irgendwann zusammenbrechen.«
Cesare nickt mit zusammengepressten Lippen.
Ernst blickt Konstantin in die Runde. »Eintausendzweihundertdreiunddreißig Byzantiner, sechshundertachtundneunzig Italiener aus Venedig, Genua, Florenz und Rom und eine Handvoll Ritter aus Aragón, Kastilien und Portugal.« Er deutet auf die beiden Johanniter im schwarzen Habit, die einige Schritte hinter dem kaiserlichen Cousin Francisco de Toledo stehen und uns aufmerksam beobachten. Seit gestern, seit ihr Kommandant Fra Gil Alvarez, in seinem früheren Leben Prinz Jibril al-Assad von Granada, in der Schlacht gefallen ist, kämpfen Fra Galcerán und Fra Diniz unter meinem Kommando.
»Dies ist unsere letzte Lagebesprechung.«
Zustimmendes Gemurmel.
»Giovanni Giustiniani!«
Der Kommandeur der Genuesen, immer noch geschwächt von seiner schweren Verletzung, tritt einen Schritt vor. »Euer Majestät?«
»Auf Eure Position! Haltet die Stellung!«
Er nickt. »Gott schütze Eure Majestät.«
»Und Euch, Giovanni!« Konstantin blickt Cesare und mich an. »Alessandra Colonna und Cesare Orsini! Ihr beide bleibt zusammen bis zum Ende, wie ihr es euch erst vor wenigen Stunden geschworen habt, als ihr euch ewige Treue gelobt habt bis in den Tod. Gemeinsam übernehmt ihr das Kommando auf der Mauer, die den Blachernen-Palast schützt.«
Cesare nickt knapp. Er macht nie viele Worte, wenn er in die Schlacht zieht, um für den Papst zu kämpfen.
Konstantin umarmt ihn herzlich. »Viel Glück, Cesare.«
»Konstantin.« Mein Mann und mein Schwager duzen sich seit gestern Abend.
Mir nickt Konstantin nur zu. Wir haben uns schon um Mitternacht verabschiedet, als er mir sein Hochzeitsgeschenk überreichte. Ein Fläschchen mit vergiftetem Haschisch.
»Was soll ich dir schenken, da du schon alles besitzt? Einen Mann, der dich von Herzen liebt, Glück, Zufriedenheit, Titel, Macht und Einfluss, Ruhm und Ansehen. Deine Freiheit kann ich dir nicht schenken, die nimmst du dir einfach. Aber einen sanften Tod, um den ich dich beneiden werde, den kann ich dir schenken. Mein Tod wird schrecklich sein. Ich werde die Schlacht um Byzanz nicht überleben. Der Sultan wird den Leichnam des letzten römischen Kaisers schänden und in Stücke hacken.«
Nach einer innigen Umarmung hat er Cesare und mich in unseren Räumen allein gelassen, damit wir in Ruhe unsere Abschiedsbriefe an unsere Familien beenden konnten, an unsere Cousins Latino und Prospero.
In dem roten Samtkästchen lag eine handschriftliche Nachricht von ihm, geschrieben in kaiserlicher Purpurtinte: ›Es wirkt schnell und zuverlässig. Du wirst nichts spüren. Nimm es, falls die Türken in die Stadt eindringen. Mehmed wird dich bis in die Hölle jagen. Leb wohl. Konstantin.‹
»Francisco! Theophilos!« Der Kaiser wendet sich an seine Cousins, den Kastilier und den Byzantiner. »Ihr beide bleibt an meiner Seite. Die Tore zur Stadt werden jetzt verriegelt. Wir können nicht mehr zurück.« Er ringt sich ein müdes Lächeln ab.
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