Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
Mandylion?«, fragt er mit heiserer Stimme.
Ich packe den Griff meines Schwertes mit beiden Händen und halte die Klinge des Kilij leicht nach hinten geneigt über meinen Kopf. La Posta di Falcone. Ein einziger Hieb, mit aller Kraft von oben herab geführt, kann ihn enthaupten.
Die Schwerter der Yeniçeriler sind tödlich.
»Wo ist das Mandylion?«
Offenbar hält er den hin und her schwingenden Reliquienschrein für ein Weihrauchgefäß.
»Ich habe es.«
Fluchend kommt er näher, bereit zum Kampf. Eine Bewegung hinter ihm lässt mich erschrocken zusammenzucken. Ich blicke über Fra Galceráns Schulter.
Jibril.
Mit dem Schwert in der Hand steht er in der Tür zum Allerheiligsten.
Kapitel 76
In der Kapelle des Blachernen-Palastes
29. Mai 1453
Viertel vor acht Uhr morgens
Er lebt! Ich weiß nicht, was ich nach Yareds Ermordung im Löwenhof der Alhambra noch für ihn empfinden soll. Liebe? Hass? Rachsüchtigen Zorn? Oder habe ich einfach nur eine Todesangst?
Gestern habe ich ihn nach all den Jahren wiedergesehen. All die Erinnerungen, die ich so gern vergessen wollte, stürmten wieder auf mich ein. Und all die Gefühle, die uns leidenschaftlich verbanden und gewaltsam auseinanderrissen: der Hass, die Wut, die Enttäuschung über seinen Verrat an Yared und an mir, aber auch die Liebe und die Leidenschaft.
Was habe ich empfunden, als Fra Galcerán mir gestern sagte, Fra Gil Alvarez sei vermutlich in der Schlacht gefallen. Freude? Trauer? Ich kann es nicht sagen, denn die Nachricht von seinem Tod fühlte sich an wie ein grausamer Stich ins Herz. Und jetzt? Er setzt mein Herz immer noch in Flammen, wenn er in meiner Nähe ist. Und er macht mich traurig.
»Prinz Jibril al-Assad, der Löwe von Granada«, presse ich hervor. »Seine Hoheit gibt uns die Ehre.«
Fra Galcerán senkt sein Schwert und dreht sich offenbar überrascht um. »Gil, du lebst!«
Jibril beachtet ihn nicht. »Al-Iskandra al-Rûmi, sieh an.« Er verneigt sich leicht vor mir. »Stets zu Diensten Ihrer Hoheit. Wie es scheint, brauchst du wieder einen Cavalier servente.« Er deutet auf den toten Cesare. »Denn dir ist offenbar schon wieder ein Ehemann abhanden gekommen. Der dritte, wenn ich keinen verpasst habe. Bewerber gab es ja genug. Sultan Uthman. Kaiser Konstantin. Und mich.«
»Va all’inferno!«, bricht es aus mir hervor.
Er hebt die Augenbrauen. »Du sinnst auf Rache?«
»Ich geleite dich persönlich zu den Stufen, die hinab ins Höllenfeuer führen.«
»Und trittst noch nach.«
»Mit Anlauf.«
»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagt er ruhig. »Ich habe mich dafür entschuldigt.«
»Yared ist tot!«, schleudere ich ihm entgegen.
Es fällt ihm schwer, sich zu beherrschen. »Meine Frau und mein kleiner Sohn auch«, blafft er wütend.
»Dafür bin ich nicht verantwortlich.«
Er schnaubt verächtlich. »Nein, du nicht.«
Ich schüttele nur den Kopf. Nicht die Liebe eint uns, nicht die Leidenschaft und die Lust, die wir einander schenkten, nicht die hitzige Eifersucht. Es ist der Hass, der uns zusammenschweißt, der Zorn, die Enttäuschung über den Verrat des Geliebten, die Trauer um unsere Liebsten, meinen Mann und meinen Sohn, seine Frau und seinen Sohn, die Verachtung und die schiere Rachsucht.
»Nimm mich zurück!«, sagt er plötzlich, und seine Worte, sanft und fordernd, so wie früher, als wir uns liebten, treffen mich wie ein harter Schlag ins Gesicht.
Fra Galcerán blickt verwirrt von ihm zu mir.
Ich schüttele langsam den Kopf. »Nein, Jibril!«
»Ich liebe dich noch immer.«
Fra Galcerán starrt seinen Freund entsetzt an. »Du hast die Gelübde abgelegt, Gil!«
Jibril lässt mich nicht aus den Augen, während er langsam auf mich zukommt. »Ich gehöre dir, Al-Iskandra, nur dir allein! Nimm mich zurück!«
»Hast du den Verstand verloren?«, ruft Fra Galcerán und hebt sein Schwert, um seinen Freund aufzuhalten. »Du gehörst Gott, Gil, nicht ihr!«
Ich schüttele immer noch den Kopf. »Du bist das größte Rätsel von allen, Jibril.« Einen Augenblick lang kämpfe ich mit den Tränen, als ich an Yared und Elija denke. Und an Cesare, dessen Kopf zu meinen Füßen liegt. Aber dann drängt der Zorn die Verzweiflung und die Traurigkeit zurück. Ja, die Wut tut mir gut. Sie wärmt mich, sie gibt mir Halt, sie hält mich am Leben. »Dich werde ich nie verstehen. Deiner werde ich nie sicher sein.«
Mein Geliebter, der zum Verräter geworden ist, sieht mich unverwandt an. Mit einem Judaskuss auf den Lippen bedroht er
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