Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
der wochenlangen Schlacht um Byzanz und der monatelangen Flucht durch den Orient waren zu viel für Euch. Ihr habt den Verstand verloren.«
»Ha!«
Wir haben die Terrasse vor dem Kirchenportal erreicht. Zwei Ritter mit gezücktem Schwert halten es auf, damit wir die Basilika betreten können.
Jetzt wird es gefährlich.
»Euer Gna…«
»Euer Eminenz!«
Er stöhnt auf. »Also schön, Euer Emi…«
»Woher kommt ihr?«, unterbreche ich ihn. Ich zeige auf sein Gefolge, das uns in weitem Kreis umringt und mich nicht aus den Augen lässt. »Wo liegt die nächste Burg der Johanniter? In Teramo? Oder in Atri?«
»Ich bin der Papst«, erwidert er in scharfem Ton. Er rafft seinen Pontifikalornat und lässt sich auf dem von zwei Rittern herbeigeschleppten Stuhl aus dem Altarraum nieder.
»Und ich bin seine Stellvertreterin«, entgegne ich noch ein wenig schärfer. »Seid Ihr Kommandant in Atri? Oder in Teramo? Oder in Aquila, das auf meinem Hoheitsgebiet liegt? Hat der Großprior von Rom Euch und Eure Henkersknechte in diese Abtei geschickt? Auf Befehl des Großmeisters Fra Jean, der mich mit seiner letzten Taubenpost zum Tode verurteilt hat?«
»Ich bin der Papst!« Er schlägt mit der Faust auf die Armlehne. Er ist wütend, weil er nicht Herr der Lage ist.
»Der Großmeister wird Euch den Kopf abreißen, wenn es Euch und Euren Henkersknechten nicht gelingt, das Versteck der Reliquie zu finden und sie nach Rhodos zu bringen.«
Er schüttelt den Kopf, als sei ich nicht ganz bei Trost. »Wovon sprecht Ihr, Euer Gna…«
»Euer Eminenz!«
Er verdreht die Augen und ballt die Fäuste auf den Armlehnen. »Ihr stellt meine Geduld auf eine harte …«
»Und Ihr geht mir auf die Nerven mit Eurem patriarchalischem Gehabe«, fauche ich ihn an. »Wer den Papst spielt, sollte das vatikanische Zeremoniell beherrschen. Denn nur wer die Regeln kennt, kann sich souverän darüber hinwegsetzen! Und diese Souveränität fehlt Euch, Euer Scheinheiligkeit .«
»Ihr geht zu weit!« Drohend hebt er den Finger.
»Ich gehe noch gar nicht weit genug!«, übertöne ich ihn.
»Contessa Colonna Orsini, ich werde Euch exkommuni…«
»Oder ich Euch!«, falle ich ihm ins Wort.
Sofort verstummt er. Jibril hat ihn offenbar darüber aufgeklärt, wie weit meine Generalvollmacht reicht.
»Ich verhandele nur mit Fra Gil Alvarez über die Herausgabe der Reliquie.«
Rasch blicke ich über die Schulter zum Portal. Vier Johanniter mit der Hand am Schwert versperren mir den Fluchtweg hinunter zum Châtelet.
Der falsche Papst, der meinen Blick bemerkt hat, lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Seine Augen blitzen im Fackelschein. »Dann wisst Ihr, wo …?«
»Ich habe sie!«, behaupte ich kühn. »Und wo steckt Jibril al-Assad? Ich will mit dem Kommandanten reden! Sofort!«
Kapitel 106
In der Abteikirche
23. Dezember 1453
Kurz nach Mitternacht
»Ich bin hier.«
Eine imposante Gestalt im schwarzen Johanniterhabit taucht aus den Schatten des Seitenschiffs auf. Jibril hat die Abtei eben durch den Geheimgang betreten, um auf der Wendeltreppe des Glockenturms auf sein Stichwort zu warten. Er hat damit gerechnet, dass ich …
»Lasst uns allein!«, kommandiert er und scheucht den falschen Papst nebst Gefolge aus der Basilika.
Adrian und Lionel, die hinter ihm durch die Tür des Turms kommen, bleiben sichernd hinter ihm stehen, die Hand am Schwertgriff. Lionels Narbe, die quer über sein Gesicht reicht, leuchtet weiß in seinem vor Zorn geröteten Gesicht.
Jibril wendet sich zu ihnen um. »Ich will allein mit ihr reden.«
»Aber sie ist gefähr…«
Jibril sagt nur ein Wort: »Raus!«
Mit finsterem Blick folgen Lionel und Adrian ihren Schwertbrüdern hinaus ins Schneegestöber.
Ohne mich anzusehen, geht Jibril an mir vorbei zum geschlossenen Portal und verriegelt es. Mit beiden Händen am Portal abgestützt, wendet er mir den Rücken zu. Er scheint auf etwas zu warten. Dass ich ihn niederschlage? Dass ich durch die unbewachte Tür zum Glockenturm zu entkommen versuche?
Schließlich dreht er sich zu mir um. »Wie geht es dir?«, fragt er auf al-Arabiyya.
Langsam atme ich aus.
Er will nicht, dass wir belauscht werden. Daher sprechen wir Arabisch.
»Mir geht’s auch nicht gut«, gesteht er leise.
»Die Wunde an deinem Kopf?« Ich deute auf die Kopfhaut über der rechten Schläfe, die immer noch weit offen klafft, obwohl ich sie mit etlichen Stichen genäht habe. Warum trägt Jibril keinen Verband?
Er schüttelt den Kopf. »Du hast sie
Weitere Kostenlose Bücher