Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
nicht alles nach seinem Willen geschah, nach seinen Frotzeleien, die mich in Rage bringen konnten. Wie nennst du es, wenn dir der Streit fehlt, und die Versöhnung? Wie nennst du es, wenn dir seine Liebe fehlt, seine Leidenschaft, seine Zärtlichkeit, ja sogar seine Eifersucht dir gegenüber?«
Jibril sieht nicht auf.
»Wie fühlst du dich, wenn du einen Menschen verlierst, der dein Leben inspiriert? Den Ehemann, den besten Freund, den Geliebten?«
Als ich nicht weiterspreche, sieht Jibril mich endlich an. »Sag du es mir.«
»Für dieses Gefühl gibt es keinen Namen. Es ist ein langsames Sterben, ein innerer Tod. Es ist Einsamkeit. Mit Yared habe ich auch dich verloren.«
»Du hast mich geliebt.«
Ich zögere, doch schließlich nicke ich. »Du hast mich getröstet, als ich wütend und enttäuscht war, weil Yared ernsthaft über eine zweite Ehe nachzudenken schien. Wäre er auf Wunsch des Sultans zum Islam konvertiert, wäre die Ehe mit deiner Schwester die einzig rechtlich bindende gewesen.
Meine Heirat mit Yared war weder aus christlicher noch aus jüdischer Sicht rechtmäßig. Kein Priester und kein Rabbi hätte uns seinen Segen gegeben. Yared war meine Liebe, für die ich alles aufgegeben habe, meinen Titel, meinen Namen, meine Heimat, meine Freunde, mein Ansehen, alles. Ich bin ihm nach Granada gefolgt, weil er als Jude nicht mit mir in Rom leben wollte. Yareds Ehe mit deiner Schwester als rechtmäßige Gemahlin hätte aus mir eine Konkubine gemacht, eine Geliebte, eine Hure.«
»Yared hat sich Muhammad widersetzt. Er hat sich zu dir und deiner Liebe bekannt. Und der Sultan hat getobt, wie damals, als Yared ihm gestand, dass er dich in Rom geheiratet hat.«
»Ich rechne dir hoch an, dass du in dieser schweren Zeit zu mir gestanden hast. Was zwischen uns war, Jibril, war mehr als nur eine flüchtige Leidenschaft, um Yared wehzutun oder Muhammad in Rage zu bringen. Die Tage und Nächte mit dir habe ich genossen. Ich mochte es, wie du mich gestreichelt hast. Und wie du mich ungestüm geliebt hast. Ich mochte es, wie du meinen Namen ausgesprochen hast, als sei er ein Liebesgedicht. Ich kann mich immer noch nicht an alles erinnern, was zwischen uns war, aber es gibt auch Dinge, die ich niemals vergessen werde.«
»Das ist die schönste Liebeserklärung, die ich je gehört habe«, sagt er gerührt. »Na ja, abgesehen von dem, was du über Yared gesagt hast.«
Ich antworte nicht. Wenn du redest, dann muss deine Rede besser sein, als dein Schweigen gewesen wäre, heißt es auf Arabisch.
»Ich kann ihn dir nicht zurückgeben«, sagt er leise.
»Nein, das kannst du nicht.«
»Lass mich dich trösten.«
»Ich will nicht getröstet werden.«
»Doch, das willst du. Du willst nicht mehr einsam sein. Du erträgst diese Hoffnungslosigkeit nicht mehr. Du sehnst dich nach Liebe und Geborgenheit. Deshalb hast du Cesare geheiratet. Ich habe vorhin deinen Abschiedsbrief gelesen. Er hat mein Herz berührt. Du willst nicht allein sterben.«
Ich schluchze verzweifelt auf.
»Erinnerst du dich an deine Worte? ›Vor wenigen Stunden habe ich Cesare geheiratet. Er hat mich darum gebeten, und ich habe nach all den Jahren endlich nachgegeben. Nicht weil ich an seiner Seite auf Liebe, Glück und Lebensfreude hoffe, sondern weil ich, wie er, nicht allein sterben will, sondern mit meinem treuen Freund an meiner Seite, dem besten, den ich jemals finden konnte.‹«
Ich wende mich ab, berge mein Gesicht in den Händen und weine mit zuckenden Schultern.
Jibril lehnt sich von hinten gegen mich, legt seine Arme um mich, presst sein Gesicht an meines und hält mich fest. »Du bist nicht allein.« Er küsst mich zärtlich in den Nacken. Sein warmer Atem streichelt meine Haut.
Es darf nicht sein. Ich darf dieses sehnende Gefühl nicht zulassen.
»Lass mich, Jibril.«
»Schlag mich, aber schick mich nicht fort.«
»Hör auf damit, Jibril, ich bitte dich! Ich kann nicht mehr. Ich habe keine Kraft mehr.«
»Das Spiel ist zu Ende. Du hast gewonnen. Und ich habe verloren. Gegen den Papst, gegen den Großmeister und gegen dich. Der Sieger gewinnt alles. Das Mandylion gehört dir.«
Ich wische mir die Tränen ab und drehe mich zu ihm um.
Er streicht mir eine nasse Strähne aus der Stirn. »Wenn du mich nicht als Geliebten willst, dann wenigstens als Freund.«
»Wovon redest du …?«
»Der Großmeister hat mir den Befehl gegeben, dich zu töten und das Mandylion nach Rhodos zu bringen. Die gescheiterte Geheimoperation in Byzanz
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