Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
gut versorgt.« Er stößt sich vom Portal ab und kommt zu mir herüber. »Die Wunde an meinem Herzen schmerzt mehr. Ich wünschte, du würdest meine Schmerzen lindern.«
»Wie?«
Er bleibt vor mir stehen, ergreift meine Hand und legt sie auf seine Brust. Ich kann seinen Herzschlag spüren. »Vergib mir.«
»Nein.«
»Begnadige mich.«
»Nein.«
»Dann hör dir meine Beichte an, bevor du mir den Todesstoß versetzt.«
»Jibril, ich …«
»Mein Gewissen ist wund«, unterbricht er mich leise, und seine Stimme bebt. »Der Großmeister hat mir befohlen, das Mandylion von Byzanz nach Rhodos zu holen. Nach meiner Flucht aus Granada ist der Orden mein ganzes Leben. Er hat mir Schutz gewährt, als mein königlicher Onkel mir nach dem Leben trachtete. Er hat mich versorgt, als ich nichts mehr besaß als mein Leben. Er hat mich aufgenommen wie einen Freund, wie einen Bruder. Ich habe dem Großmeister Gehorsam gelobt. Doch Fra Jean untersteht dem Papst. Und der hat dir befohlen, das Mandylion nach Rom zu bringen. Wem also schulde ich Treue?«
»Dem Papst.«
Er nickt traurig. »Rhodos wird von Sultan Uthman bedroht. Siegt er, wie Sultan Mehmed in Konstantinopolis, werden wir alles verlieren. Und so enden wie die Templer. Nach dem Fall von Konstantinopolis wäre die Eroberung von Rhodos eine Katastrophe. Der Todesstoß für den Johanniterorden. Nach meiner Flucht aus Granada ist Rhodos meine Heimat. Ich bin dort glücklich, trotz allem, was in Granada geschehen ist. Wem also schulde ich Treue?«
Ich zögere. »Dem Großmeister.«
»Das dachte ich auch.« Er nickt versonnen. »Bis ich dich in der Kapelle des Blachernen-Palastes traf. Mein Schwertbruder Diniz lag in seinem Blut, mein bester Freund Galcerán bedrohte dich mit seinem Schwert, um das Mandylion zu bekommen. Und plötzlich habe ich alles in Frage gestellt. Ich liebe dich noch immer. Erinnerst du dich, was ich dir in der Kapelle gesagt habe?«
»Du sagtest: Ich gehöre dir, Al-Iskandra. Nur dir allein. Nimm mich zurück. Wie kann ich dir meine Treue beweisen?«
Jibril nickt. »Du erinnerst dich also.« Er atmet tief durch. »Ich würde gern vergessen, was in Byzanz geschehen ist. Aber ich kann es nicht. Dass Galcerán Cesare getötet hat, tut mir leid. Ich wollte dir nie wehtun.«
Er fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn, als könne er so den Schmerz in seinem Kopf lindern. Er wirkt genauso erschöpft wie ich. Genauso hoffnungslos. Genauso verzweifelt.
»Weißt du, ich war bei deiner Hochzeit in der Hagia Sophia. Ich habe in der letzten Reihe gestanden und zugesehen, wie du Cesare geheiratest hast, deinen besten Freund, und nicht mich, deinen Geliebten. Ich habe gesehen, wie du ihn geküsst hast, und ich habe mir gewünscht, ich wäre er und alles wäre wieder so wie damals in Granada, bevor Adriana und mein Sohn und Yared und dein Sohn starben. Ich habe dir viel Glück gewünscht mit Cesare, eine Liebe ohne Leiden, wie du sie noch nie hattest, nicht mit Niketas, nicht mit Yared, nicht mit mir. Ich wollte dir niemals wehtun. Ich liebe dich von ganzem Herzen, Al-Iskandra.« Er macht eine Pause, bevor er weiterspricht. »Wem also schulde ich Treue?«
Ich ringe mit den Tränen. »Was du getan hast, kann ich dir nicht vergeben, Jibril. Du hast mir Yared genommen. Du hast mir bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen. Es blutet noch immer. Und es wird niemals heilen.« Ich zeige ihm den Saphirring an meinem Finger. Das Licht der Fackeln spiegelt sich darin. Ich zitiere den eingravierten Text: »›Leg mich wie ein Siegel an dein Herz! Denn stark wie der Tod ist die Liebe, wie die Feuergluten der Hölle ihre Leidenschaft. Nichts vermag ihr Lodern auszulöschen.‹«
»›Mächtige Wasser können sie nicht löschen, und Ströme schwemmen sie nicht fort. Doch wenn einer alles für sie geben wollte, würde man ihn nur verachten.‹ König Salomos Lied der Liebe.«
»Du trägst Yareds Rubinring noch immer.«
»Ja.«
»Du hast kein Recht auf diesen Ring.«
»Er ist ein Symbol meiner Liebe. Und meiner Schuld.«
»Er ist ein Symbol meiner Liebe zu Yared. Und meiner Schuld, dass ich ihn mit dir, seinem Mörder, betrogen habe. Gib ihn mir zurück.«
Er zieht den Ring vom Finger und lässt ihn in meine offene Hand fallen. Ich schiebe ihn zu meinem Saphirring.
»Sag mir, wie ich meine Schuld sühnen kann.«
»Ich kann dir nicht vergeben, Jibril.«
In seinen Augen schimmern Tränen. »Yared hat den Befehl gegeben, mich zu töten. Das Gemetzel an
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