Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
musste vertuscht werden. Dieses gemeine Spiel hier in der Abtei war die einzige Möglichkeit, dich zu retten. Ich war so erschrocken, als ich dich im Schnee fand, nicht tot und nicht lebendig. Ich musste dich aus der Ohnmacht retten, bevor du stirbst. Und ich war bestürzt, dass du dich an nichts erinnern konntest. Ich musste dich dazu bringen, das Versteck des Mandylions zu finden und danach zu entkommen. Ich hätte mich von dir niederschlagen lassen, um deine Flucht zu decken. Ich wäre dir nach Rom gefolgt. Das war die einzige Möglichkeit, dir zu beweisen, dass ich dich noch immer liebe. Dass ich alles für dich aufgeben würde. Wenn nicht als dein Geliebter, so doch als dein Freund. Ich wollte mich dem Papst zu Füßen werfen und ihn um einen Dispens bitten, den Orden verlassen zu dürfen. Das ist die einzige Möglichkeit, mich selbst zu retten. Ich kann niemals zurückkehren nach Rhodos.«
»Fra Jean wird dir deinen Verrat nicht vergeben.«
»Deshalb meine aufwändige Inszenierung. Um dem Großmeister zu beweisen, dass ich alles versucht habe, um dich in die Knie zu zwingen, dass ich aber gescheitert bin. Weil du viel stärker bist als ich.«
»Und deshalb Fra Lionel und Fra Adrian. Als Zeugen, um deine Versuche zu rechtfertigen. Und um sicherzugehen, dass du auf dem Weg nach Rhodos nicht einfach verschwindest.«
Jibril nickt ernst. »Ich habe Angst, dass Fra Jean nicht nur eine Taube nach Rom geschickt hat, mit dem Befehl an mich, dich zu töten, sondern dass er noch eine zweite geschickt hat, mit dem Befehl, auch mich zu töten und das Mandylion nach Rhodos zu bringen.«
Er zieht einen stark verkohlten Zettel aus der Tasche und zeigt ihn mir. Die winzige Schrift ist nicht mehr zu lesen. Ich halte das Papier gegen das Licht der Fackeln, die die Eskorte des Papstes in den Halterungen an den Säulen der Basilika befestigt hat. Ich erkenne ein Wasserzeichen. Ein achtstrahliges Zackenkreuz. Wortlos gebe ich Jibril den Zettel zurück.
»Außer uns beiden weiß niemand, was in Byzanz geschehen ist«, sagt er, während er ihn zusammenfaltet und in die Tasche steckt. »Sobald du das Mandylion gefunden hast, bin ich tot. Es sei denn, du gewährst mir Schutz am sichersten Ort der Welt.«
Ich hebe die Augenbrauen.
»Im Palazzo Colonna.« Er lächelt matt. »Friedrich von Tannhausen, genannt Federico Tannhäuser, war dir sehr dankbar, dass du ihm in deinem Palazzo Schutz vor dem deutschen Kaiser gewährt hast. Erinnerst du dich?«
»Nein.«
»Am 19. März 1452 wurde Friedrich III. von Papst Nikolaus zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt. Einen Tag später hast du Seine Majestät im Palazzo Colonna empfangen, im Audienzsaal von Papst Martin, auf den Stufen des Papstthrons, wo seit deiner Kindheit dein angestammter Platz ist. Der Kaiser forderte die Herausgabe des Freiherrn von Tannhausen, mit dem er sich irgendwann einmal gestritten hat, warum, weiß ich nicht. Jedenfalls hast du dich geweigert, Federico Tannhäuser auszuliefern. Was Seine Majestät ziemlich in Wut gebracht hat. Woraufhin du ihn hast wissen lassen, dass er überall römisch-deutscher Kaiser ist – nur eben nicht in Rom. Das Abendessen im Palazzo Colonna im Beisein von Kardinal Prospero, unserem nächsten Papst, verlief … Wie soll ich sagen? … in gespannter Atmosphäre, nachdem du Friedrich gegenüber zum Ausdruck gebracht hattest, wen du für den rechtmäßigen Nachfolger der römischen Kaiser hältst: deinen Schwager Konstantin. Auch der Großmeister war damals dein Gast. Fra Jean erzählte mir, dass Papst Nikolaus sich stündlich über die Laune Seiner Majestät berichten ließ. Wie sagte Seine Heiligkeit zu Seiner Exzellenz? Eher geht Rom unter, bevor du ein einziges Mal nachgibst. Siehst du, deshalb bin ich im Palazzo Colonna sicher. Und deshalb bitte ich dich um deinen Schutz. So wie Federico Tannhäuser dich um Asyl gebeten hat.«
»Vertraue auf Allah – aber binde dein Kamel an«, zitiere ich ein arabisches Sprichwort.
Jibril lacht leise. »Und fälle nicht den Baum, der dir in der Wüste Schatten spendet.«
»Ich denke, du weißt, was ich von meinen Bravi erwarte.«
»Du gewährst deinen Männern Schutz und garantierst ihnen Straffreiheit, egal, was sie getan haben, ob sie ein Brot gestohlen, eine Frau vergewaltigt oder ihren Bruder ermordet haben. Du versorgst sie mit Verpflegung, Kleidung und Waffen und bietest ihnen eine Unterkunft im Palazzo Colonna. Als Gegenleistung erwartest du unbedingten
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