Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
herum nichts mehr wahr. Wie lange ich mit Federico auf den Knien im Schnee hocke? Ich weiß es nicht.
Irgendwann lasse ich ihn zu Boden gleiten und durchwühle seine Taschen. Da ist der Beutel mit den Goldmünzen aus der Kiste, die ich im Ossarium ausgegraben habe! Da ist der Dolch! Federico hatte meine Ausrüstung für die Flucht geholt, hatte das Grab wieder zugeschüttet und war zum Stall hinuntergelaufen, um die Pferde zu satteln.
Die zerlegte Armbrust und der Köcher mit den Bolzen fehlen. Der Yeniçeri muss sie mitgenommen haben, nachdem er Federico über die Mauerbrüstung dort oben geworfen hat.
Auch mein Siegelring mit dem Wappen der Colonna ist verschwunden. Vermutlich will der Hashishin den Ring Sultan Mehmed überreichen – als Beweis meines Todes.
Schniefend wische ich mir die eisigen Tränen aus dem Gesicht, schließe Federicos Lider, lege seine steif gefrorenen Hände wie zum Gebet übereinander und schiebe mit den Händen Schnee über seinen Leichnam. Sobald ich den Grabhügel festgeklopft habe, verberge ich ihn unter einer Schicht Dornengestrüpp, das ich hinter mir her zum Grab schleppe. Dann trete ich einen Schritt zurück und spreche ein Gebet.
Ich werde Federicos Leichnam nach Rom bringen, das schwöre ich. Ich werde ihn in der Kirche Santi Apostoli neben dem Palazzo Colonna begraben, in meinem eigenen Grab.
»Sei ganz ruhig, mein Freund«, flüstere ich zum Abschied. »Ich werde deinen Tod rächen.«
Dann kehre ich durch den Geheimgang in die Abtei zurück. Ich lege das Notizbuch auf Jibrils Schreibtisch im Dormitorium, schiebe Galceráns Schwert unter das Bett und krieche erschöpft unter die warme Decke.
Mit der Hand am Griff des Dolches unter meinem Kopfkissen döse ich in der Wärme des Kaminfeuers bald ein …
Kapitel 48
In der Zelle des Abtes
22. Dezember 1453
Gegen halb vier Uhr nachts
… und schrecke auf aus dem tiefen, traumlosen Schlaf, als ich ein leises Knarren höre, das nicht von den knisternden Holzscheiten im Kamin stammen kann. Verschlafen öffne ich die Augen.
Jibril!
Erschrocken zucke ich zusammen und taste nach dem Griff des Dolches.
Wie lange steht er schon dort?
Lässig an einen Bettpfosten gelehnt, blickt er versonnen auf mich herab. Als er merkt, dass ich aufgewacht bin, wendet er sich mit einem gequälten Schnaufen ab, verlässt den Raum und schließt leise die Tür hinter sich.
Was wollte Jibril mitten in der Nacht an meinem Bett?
Sofort setze ich mich auf und sehe mich um.
Da, der zerbrochene Schlüssel liegt wieder auf dem Tisch! Jibril hat die beiden Teile zusammengefügt.
Was willst du mir damit sagen, Jibril? Wohin soll uns dieser Schlüssel führen? In unsere gemeinsame Vergangenheit? Oder in unsere gemeinsame Zukunft auf der Suche nach dem Mandylion?
Du hast es also immer noch nicht gefunden …
Kapitel 49
In der Zelle des Abtes
22. Dezember 1453
Kurz nach sieben Uhr morgens
»Nimm mich zurück!«
Zarte Rosenblätter streicheln mich, während sie sanft wie ein sommerlicher Windhauch in den Gärten der Alhambra an mir herabgleiten und auf dem Bett aus Rosenblüten liegen bleiben. Seufzend rekele ich mich.
Mit einer der duftenden Blüten streichelt er mich voller Hingabe, während er meinen nackten Körper mit seinen Blicken liebkost. Wie ich es genieße, wenn er mit mir spielt, mit meinem Körper, mit meiner Leidenschaft und meiner Lust! Mir wird immer heißer, als ob ich innerlich glühe, und ich winde mich unter ihm. Das gefällt ihm, das sehe ich ihm an. Mit der Rose streichelt er meine Stirn, meine Augenbrauen, meine Nase, meine erwartungsvoll geöffneten Lippen, mein Kinn, dann fährt er spielerisch über meine Brüste und kitzelt meinen Bauchnabel.
Ich stöhne auf vor Lust. Nicht der Haschischrausch bringt mich zum Glühen, sondern Jibril, der meinen Körper ganz und gar beherrscht. Ich schließe die Augen und atme schwer, weil ich weiß, dass ihm das gefällt. Dass ihn das erregt. Leise lachend lässt er die Blüte zwischen meinen Beinen verschwinden.
Ich öffne die Augen wieder und beobachte, wie Jibril sich den Turban vom Kopf zieht und ihn auf den Boden wirft. Dann lässt er die Djellabiya aus indischem Seidenbrokat über seine breiten Schultern gleiten, schlüpft geschmeidig aus den Ärmeln und schleudert die schimmernde Robe in einen blühenden Oleanderbusch. Er ist nackt. Mein Blick umschmeichelt seinen vollendeten Körper, wie das Mondlicht, das auf seiner gebräunten Haut schimmert. Die Nacht ist heiß und
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