Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
dich aufgeben würde. Seine Frau … seinen kleinen Sohn …«
Ich stöhne. »Ich will noch viel mehr als nur euch beide!«
»Was willst du denn noch?«
»Meine Freiheit, Jibril. Sie ist so kostbar wie die Liebe und die Leidenschaft, die ihr beide mir schenkt. Yared lässt mir meine Freiheit. So wie ich ihm seine lasse.«
»In seinem Harem voller williger Gespielinnen, die sein bester Freund Sultan Muhammad ihm ins Bett legt, um seinen Wesir bei Laune zu halten? Mein königlicher Onkel weiß, dass er ohne Yared das Nasridenreich nicht regieren kann. Dass er wieder gestürzt wird und aus Granada vertrieben.«
»Mein Geliebter, dein Harem ist nicht viel kleiner als der meines Mannes. Recht ansehnlich für einen frommen Christen …«
»Mein königlicher Onkel sorgt sehr umsichtig dafür, dass ich keine Zeit für etwas anderes habe als für die Liebe.« Seine Bewegungen werden schneller. »Und dein Gemahl hält mich auf Trab, indem er mich zu deinem Beschützer ernannt hat, zum Beschützer deines Lebens, deiner Würde, deiner Ehre und … du weißt schon.« Er grinst verschmitzt. »Seit meiner Rückkehr aus der Verbannung in Córdoba lässt Yared mich überwachen, weil er fürchtet, ich könnte meinen Onkel stürzen, weil ich selbst Sultan werden will. Zwei meiner Cousins, Sultan Muhammad und Sultan Yusuf, haben unseren Onkel vor einigen Jahren aus der Alhambra vertrieben. Dein Gemahl hat ihm wieder die Stufen zum Thron von Granada hinaufgeholfen.«
»Yared wird niemals dein Wesir sein, Sultan Jibril!«
Seine Zunge gleitet verspielt über meine Lippen, sein warmer Atem streift mein Gesicht. »Nein, denn wenn er sich doch noch entschließt, Muslim zu werden und meine Schwester zu heiraten, kann er selbst Sultan werden. Den mächtigen Familienclans ist ein zum wahren Glauben bekehrter Jude allemal lieber als ein Christ, dessen bester Freund Galcerán ein Verwandter von Kardinal de Borja …«
»Jibril?«
»Ja, meine Prinzessin?«
»Könnten wir den Sturz des Sultans auf morgen verschieben?«
Er lacht leise.
»Jibril!«
»Wie du befiehlst, Sayyida«, flüstert er grinsend und küsst mich ungestüm.
Mit geschlossenen Augen gebe ich mich meinen Gefühlen hin, während er immer schneller wird und wir durch ein Funken sprühendes Feuerwerk der Lust der Erlösung entgegenschweben.
Schwer atmend lasse ich mich auf die Rosenblüten zurücksinken. Er gleitet aus mir heraus und legt sich erschöpft neben mich. Dann nimmt er eine Blüte und liebkost mich damit, während wir eng umschlungen liegen, ohne ein Wort zu sprechen. Ganz leise dringt das fröhliche Gelächter des königlichen Festmahls bis zu uns.
Plötzlich zerreißt ein schriller Schrei das Lied der Nachtigall.
Aus dem Blütenkelch der Rose, mit der Jibril mich streichelt, fließt plötzlich warmes Blut. Es rinnt über meinen Körper und tropft auf die Rosenblätter.
Mit beiden Händen stoße ich Jibril von mir, weil ich das Blut wegwischen will, aber es wird immer mehr. Mein ganzer Körper ist nass vom Blut …
Ein ersticktes Keuchen entringt sich meiner Brust.
Was für ein Schreckenstraum!, denke ich und schrecke hoch.
Ich schlage die Augen auf, und mein Blick fällt auf Jibril.
Er liegt neben mir.
Kapitel 50
In der Zelle des Abtes
22. Dezember 1453
Viertel nach sieben Uhr morgens
Zwischen uns liegt die erfrorene Rose aus dem verwilderten Gärtchen unterhalb des Glockenturms. Er hat sie gepflückt. An den Rändern sind die Blütenblätter welk, und einige haben sich schon aus dem Kelch gelöst und liegen auf dem Kissen verstreut.
Jibrils warmer Atem streichelt mein Gesicht. Er sieht mich an. Unter der Bettdecke hat er ein Bein über meine Hüfte gelegt. Wie ich ist er nackt. Entsetzt weiche ich zurück, doch er beugt sich über mich, streicht mir zärtlich durch das zerwühlte Haar und küsst mich sanft. »Ganz ruhig, mein Herz! Ich bin ja bei dir!« Er legt seine Hand auf meine und schiebt seine Finger zwischen meine – eine sehr intime Geste.
Da bricht mit Gewalt eine Erinnerung in mir auf. Elija, wie er sterbend in meinen Armen liegt … »Mami!« … Neben ihm Yared in seinem Blut, der Dolch des Hashishin noch in seiner Brust. Röchelnd haucht er: »… liebe … dich … Leb wohl!« Dann ist er tot.
Verzweifelt schluchze ich auf.
Jibril nimmt mich in die Arme, wiegt mich sanft und küsst mir die Tränen aus dem Gesicht. »Du hast geträumt, mein Herz. Aber jetzt bist du aufgewacht. Und ich bin bei dir, ganz nah.«
Ich will jetzt nicht
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