Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)
reißen.
Cesare und Diniz kämpften miteinander, bis Cesare schwer verletzt zu Boden stürzte. Ich tötete Diniz, der auch verwundet war. Dann preschte Galcerán heran, schlug Cesare den Kopf ab und warf sich auf mich. Und dann …
Ich weiß nicht mehr, was dann geschah.
Nur so viel: Jibril war auch in der blutüberströmten Kapelle.
Dann bin ich mit Galcerán geflohen. Und mit dem Mandylion.
Ich klappe das Büchlein zu und setze mich auf.
Ich muss zurück in die Abtei. Sofort.
Kapitel 46
Auf dem verschneiten Weg ins Tal
22. Dezember 1453
Irgendwann nach ein Uhr nachts
Schwer atmend ziehe ich mich am herabhängenden Gestrüpp hoch und klettere mit letzter Kraft über die Böschung auf den Weg. In den beinahe zugeschneiten Huftritten des Pferdes falle ich auf den Boden und ringe keuchend nach Atem.
Sobald der Schwindel und der Kopfschmerz nachlassen, setze ich mich auf. Keine Zeit zu verlieren! Wenn Jibril meine Flucht bemerkt, wird es mir kein zweites Mal gelingen, unbemerkt aus der Abtei zu verschwinden.
Ich muss zurück! Zurück in meine ganz private Hölle. Zurück in den Kerker, der aus Angst erbaut ist und aus dem es kein Entkommen gibt. Nur in der Abtei kann ich herausfinden, was geschehen ist.
Bevor ich zurückgehe, untersuche ich die verwehten Spuren. Wohin ist der Yeniçeri gegangen? Den Berg hinauf zur Abtei? Oder hinunter ins Tal, um sein Pferd zu holen und nach Istanbul zurückzukehren? Aber wenn er mich für tot hält, wird er wohl dem Padi ş ah berichten … Ich zögere. Sein Befehl lautete, mich zurückzubringen, tot oder lebendig. Er hat meinen Leichnam nicht. Nach kurzem Zögern füge ich in Gedanken an: Noch nicht.
Ich blicke mich aufmerksam um, stopfe mir eine Handvoll Schnee in den Mund, um das eiskalte Schmelzwasser zu trinken, und stapfe los. Während ich mich in kleinen Schritten mühsam durch den tiefen Schnee bergauf kämpfe, wird mir wieder warm, und das Zittern meines Körpers im eisigen Wind lässt ein wenig nach.
Wie weit mag es wohl sein? Zwei Meilen? Oder drei?
Irgendwann taucht die Abtei zwischen den wirbelnden Flocken auf, ein schwarzer Schattenriss vor dem Hintergrund der hellen Schneewolken.
In den Spuren des Wolfes gehe ich die Treppe hinauf zum Innenhof zwischen Stall und Aedificium. Alles ist unverändert: Die Tür zur Küche und zum Vorratskeller ist geschlossen, das Tor des Pferdestalls ist nur angelehnt.
Ich gelange zu einem Dornengestrüpp, das sich an einer Wehrmauer am Ende des Hofes hochrankt. Hier biegt die Spur des Wolfes ab und folgt der Mauer. Einige Schritte vor mir ist kein Schnee auf der Brüstung, als wäre ein schwerer Gegenstand über die Mauer gestemmt worden.
»Santo Cielo!«, flüstere ich entsetzt und beginne zu laufen.
Da vorn ist eine schmale Treppe, die an der Mauer hinunterführt, hin zum Wäldchen. Ich hetze die Stufen hinunter und bleibe unvermittelt stehen.
Der Wolf, der neben einer Schneeverwehung gelegen hat, springt auf und blickt mich lauernd an. Es ist mein Freund, der Abenteurer.
Als ich näher komme, senkt er den Kopf, legt die Ohren an, klemmt den Schwanz ein und saust mit einem Winseln so schnell in den Schutz des Wäldchens, dass der Schnee unter seinen Pfoten aufspritzt. Hat er ein schlechtes Gewissen?
Neben der Schneeverwehung knie ich mich hin. Mit beiden Händen fege ich den Schnee zur Seite. Darunter liegt etwas Weiches, Dunkles, das unter der Berührung nachgibt.
O Gott, nein!
Ich grabe weiter. Der Schnee fliegt in hohem Bogen zur Seite.
Eine Hand!
Die Zeit zerdehnt sich zur Unendlichkeit, und meine Bewegungen werden immer langsamer und schwerfälliger.
Der Schnee ist plötzlich rot, wie gefrorenes Blut. Mein Herz krampft sich zusammen, und ich ringe nach Atem.
Ein Gesicht taucht auf. Eiskristalle stecken in seinen Augenbrauen, seinen Lidern, seinem Bart, und sein Haar ist verklebt von gefrorenem Blut, das aus einer Wunde an seinem Kopf gequollen ist. Aber ich erkenne ihn trotzdem.
Aufschluchzend schlage ich mir die Hand vor den Mund.
Es ist Federico.
Kapitel 47
Hinter dem Pferdestall
22. Dezember 1453
Viertel nach zwei Uhr nachts
Weinend ziehe ich seinen steifen Körper auf meinen Schoss und wiege ihn hin und her, als ob Federico nur schlafen würde. Meine Tränen vermischen sich mit seinem Blut. Tränen der Trauer um einen Freund, Tränen der Wut, Tränen der Verzweiflung. Das Gefühl der Verlorenheit und der Einsamkeit überwältigt mich.
Und wieder verliere ich mich in der Zeit und nehme um mich
Weitere Kostenlose Bücher