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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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Ich trete ganz nah an das Wandbrett heran und rieche an dem Holz. Ist da nicht ein Hauch von Moschus, Zimt und Pfeffer, wo sein Parfumfläschchen gestanden hat? Ich bin mir nicht sicher …
    Die Satteltasche, die unter seinem Bett lag, ist auch verschwunden.
    »Jibril!«, rufe ich. »Hör auf damit! Du machst mir keine Angst! Schluss jetzt, du hattest deinen Spaß!«
    Keine Antwort, kein leises Lachen, nichts.
    Wütend schlage ich mit dem Schürhaken gegen die Bruchsteinwand des Dormitoriums. »Ich bin bewaffnet, Jibril. Und ich meine es ernst. Allmählich werde ich wütend.«
    Der Wind treibt den Schnee gegen die Fenster oberhalb des Tisches, wo Jibril gestern mein Notizbuch kopiert hat.
    »Na schön, wie du willst, mein Prinz«, murmele ich und gehe an den Zellen der Mönche vorbei zur Tür, die zur Kirche hinüberführt.
    Ich öffne sie und blinzele ins dichte Schneetreiben.
    Niemand zu sehen.
    Dann tauche ich ein in die mystische Dämmerung der Kirche. Kein Licht dringt aus den Treppenschächten, die zu den Krypten hinunterführen. Langsam gehe ich zwischen den Säulen hindurch und trete in das Hauptschiff. Ich bin allein.
    Auf halbem Weg zum Altarraum bleibe ich plötzlich stehen. War da nicht ein Knirschen von Schritten, ein Schaben von Leder auf Stein?
    Ich lausche angestrengt, doch bis auf das leise Wehen des Windes, der an den Bogenfenstern rüttelt, kann ich nichts mehr hören.
    Stufe für Stufe gehe ich hinauf in die Chorapsis mit dem Altar.
    »Jibril!« Mein Ruf schallt durch die Kirche. »Komm jetzt, ich bringe dich ins Bett. Du bist schwer verletzt, und du brauchst Ruhe!«
    Wieder ein leises Knirschen, das durch die Kirchenschiffe hallt. Und ein schrilles Fiepen.
    Unten in den Krypten gibt es Mäuse.
    Dann ist es wieder still. Nur das schrille Pfeifen des Windes in den Dachsparren der Kirche ist zu hören.
    Das Gefühl der Bedrohung lässt mein Herz pochen, und mein Atem beschleunigt sich. Ich packe den Schürhaken fester und schlage damit gegen den Altar.
    Es ist nicht Jibril. Woher ich das weiß? Es ist nur eine Ahnung, wie man sie in höchster Gefahr manchmal hat.
    »Murat!«, brülle ich, und der Name hallt in der Kirche wider. »Ich weiß, dass du hier bist.«
    Ein Zischen dringt zu mir herüber, gefolgt von einem Sirren. Er hat sein Kilij-Schwert gezogen. Dann kommt er langsam die Treppe im rechten Seitenschiff herauf und schneidet mir den Fluchtweg ab.
    Ich sitze in der Falle.
    Mit dem Schürhaken kann ich nichts ausrichten gegen sein Schwert. Hastig trete ich zwei oder drei Schritte zurück in die Chorapsis und sehe mich nach einer anderen Waffe um.
    Die eisernen Kerzenständer!
    Jibril hat die geschmiedeten Leuchter, die mir bis zur Schulter reichen, aufgerichtet und Kerzen auf die langen und spitzen Dornen gesteckt. Ich husche zu einem Kerzenständer, werfe das Wachslicht auf den Boden und packe den Leuchter mit beiden Händen.
    Dann drehe ich mich um. Ich hätte schwören können, dass Murat höhnisch grinst, aber nein, er lächelt nicht.
    »Der Padi ş ah hat mich vor Euch gewarnt, Euer Gnaden. Ihr seid gefährlich. Wie der Löwe, der ja Euer Wappentier ist.«
    Mit einem Ruck, der mich erschrecken soll, reißt er sein Kilij hoch und macht einen schnellen Schritt vorwärts.
    Ich halte den schweren Kerzenständer vor mich.
    »Fatih Mehmed will Euren Kopf.«
    »Den bekommt er aber nicht.«
    »Und er will das Mandil haben.«
    »Wozu?«
    »Fatih Mehmed will nicht nur Padi ş ah der Türken sein, sondern auch Basileus der Griechen. Er ist der Erbe des untergegangenen Imperium Romanum, des römischen Weltreiches.«
    »Er bekommt das Mandylion nicht, solange ich lebe.«
    Er schnaubt, und eine weiße Atemwolke strömt aus seinen Nasenlöchern. »Der Padi ş ah regiert durch den orthodoxen Patriarchen von Konstantinopolis. Das Symbol dieser Herrschaft, das Mandil mit dem Blut des Propheten Issa, will er um jeden Preis zurückhaben. Also, wo ist es?«
    Stumm deute ich auf meine Stirn: Ich weiß es, aber ich verrate es nicht.
    Murats Fluch würde Allah erblassen lassen.
    In diesem Augenblick drehe ich den Kerzenständer herum und stürme vorwärts, um ihm den Dorn in die Brust zu stoßen.
    Überrascht von meinem Angriff, springt Murat behände zurück und reißt sein Kilij hoch.
    Ich greife den schweren Leuchter direkt unterhalb der Kerzenhalterung und schleudere die aufgebogenen Eisenstützen mit einer solchen Wucht gegen seine Beine, dass der Yeniçeri mit einem erschrockenen Keuchen

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