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Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das letzte Evangelium: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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ordentlich gemachten Bett. Und die Trage, die ich aus einem Bett des Dormitoriums gezimmert habe? Auch das Gestell ist nirgendwo zu sehen. Mit weichen Knien lasse ich mich auf den Stuhl sinken, auf dem ich vorhin saß, als ich in meinem Notizbuch las.
    Nein, Sandra: Auf dem du annimmst vorhin gesessen zu haben, als du glaubtest , im Notizbuch gelesen zu haben.
    Ist das alles kompliziert und verwirrend!
    Ruhig, Sandra, reg dich nicht auf! Mach dich nicht selbst verrückt! Und hab keine Angst!
    Mit zitternden Fingern schlage ich das Büchlein auf und suche die zusammengeleimten Seiten mit der Skizze der türkischen Schiffe. Wo sind sie? Ich blättere noch einmal durch das ganze Büchlein.
    Die beiden Seiten sind verschwunden. Ich biege das Notizbuch so weit auseinander, dass die Bindung zu brechen droht. Der kurz gespitzte Silberstift, der im Buchrücken steckte, fällt heraus und bleibt auf meinen Knien liegen. Da ist der Schnitt! Die fehlenden Seiten sind mit einer scharfen Klinge herausgeschnitten worden.
    Es ist zum Verrücktwerden!
    Alles verändert sich, nichts bleibt, was es war.
    Wie soll ich damit umgehen?, frage ich mich verzweifelt und blättere durch das Notizbuch. Die letzten Seiten sind weiß und leer. So unbeschrieben wie mein Gedächtnis. So blank wie mein Verstand am Rande des Wahnsinns.
    Plötzlich rieseln Eiskristalle über meinen Rücken.
    Das ist es! Kurz entschlossen drehe ich das Buch um, sodass die unbeschriebene letzte Seite zur neuen ersten Seite wird. Dann nehme ich den Silberstift und beginne alles aufzuschreiben, was seit meinem Erwachen geschehen ist. Nein, was ich glaube , was seit meinem Erwachen geschehen sein könnte …
    Verrückt!
    Los, Sandra, schreib ab jetzt alles auf, was du tust! Und kämpfe mit deinem Verstand gegen den Wahnsinn an, der dich ja offenbar befallen hat! Und verteidige dieses Büchlein mit deinem Leben, denn es ist alles, was dir noch bleibt.
    Denn was auf diesen Seiten beschrieben ist, egal, ob du dich daran erinnerst oder nicht, egal, ob du glaubst oder zweifelst, egal, ob du unter Wahnvorstellungen leidest oder nicht, egal, ob du wirklich verrückt wirst oder nicht, muss so geschehen sein. Deine Erinnerungen mögen sich ändern – deine Niederschrift in diesem Büchlein nicht!
    Ich bin nicht verrückt , denn ich kann klar denken und vernünftige Entscheidungen treffen. Und trotzdem geschehen immer wieder erschreckende Dinge , die ich mit meinem Verstand nicht begründen kann. Aber ich werde schon noch dahinterkommen , was mit mir geschieht. Ganz sicher.
    Das klingt wie eine Aufforderung an mich selbst, den Kampf aufzunehmen. Ja, ich werde kämpfen! Entschlossen klappe ich das Notizbuch zu, stecke den Stift in den Buchrücken und mache mich auf den Weg.
    Ich muss Jibril suchen.
    Wenn er noch in der Abtei ist, werde ich ihn finden. Und wenn er sie verlassen hat, werde ich seinen Spuren im Schnee folgen.
    Entschlossen wuchte ich die Matratze des Bettes hoch, um Galceráns Schwert darunter hervorzuziehen.
    Doch es ist nicht mehr da.
    Und der Dolch?
    Ich sehe in der Ritze hinter dem Kopfkissen nach.
    Auch nicht.
    Ich bin unbewaffnet. Und allein.

Kapitel 58
    In der Zelle des Abtes
22. Dezember 1453
Gegen neun Uhr morgens
    Das Knarren einer Tür draußen auf dem Gang schreckt mich auf. Ich wirbele herum, doch alles bleibt still. Jibril?
    Ich atme tief durch und sehe mich nach einer Waffe um, mit der ich mich verteidigen kann. Da, der Schürhaken! Ich wiege ihn in der Hand. Gut. Ich husche zur Tür, öffne sie leise und blicke hinaus in den Gang. Alles ist ruhig.
    Die Tür zum Dormitorium ist nur angelehnt und knarrt im eisigen Luftzug. Habe ich sie vorhin offen gelassen, als ich Jibril, der verschwunden ist, auf der Trage, die nicht mehr da ist, ins Bett brachte, das jetzt ordentlich gemacht ist? Ich weiß es nicht mehr.
    »Jibril?«, rufe ich leise.
    Wieso flüstere ich eigentlich?
    »Jibril!«, rufe ich laut und deutlich. »Lass den Unsinn. Ich weiß, dass du hier bist. Komm schon, ich tue dir nichts.«
    Keine Antwort.
    Ich stoße die Tür zum Dormitorium auf und spähe in den Raum. Er ist leer. Langsam gehe ich weiter.
    Galceráns Bett.
    Ich bleibe stehen. Die Satteltasche, die unter dem Bett lag, ist nicht mehr da.
    Vorhin habe ich doch das Nähzeug aus der Tasche geholt. Und die Cotte, die ich zu Leinenbinden zerrissen habe.
    Hinter dem Vorhang steht Jibrils Bett.
    Das arabische Büchlein auf dem Regalbrett über der Pritsche ist verschwunden, auch sein Brevier.

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