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Das letzte Experiment

Das letzte Experiment

Titel: Das letzte Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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den Bahnhof ein.
    «Das gefällt mir alles nicht», gestand Anna.
    «Das tut mir leid», antwortete ich. «Aber mein Castellano ist nicht gut genug für die Art von juristischer und bürokratischer Sprache, in der offizielle Dokumente üblicherweise abgefasst sind. Wenn wir etwas finden, werden Ihre wunderschönen großen Augen es mir vorlesen müssen.»
    «Und da dachte ich doch tatsächlich, Ihnen wäre es nur um ein wenig Gesellschaft gegangen.» Sie blickte sich nervös um. «Ich hoffe sehr, dass es keine Ratten gibt. Ich hab genug von diesen Biestern auf der Arbeit.»
    «Bleiben Sie ganz ruhig, ja? Wie das hier aussieht, war schon eine ganze Weile niemand mehr hier.»
    Die Tür des Haupteingangs stank nach Katzenpisse. Die Milchglasscheiben waren bedeckt von Spinnweben und Salz vom Meeresarm in der Nähe. Eine große Spinne krabbelte panisch davon, als mein Schuh sie in ihrem Netz störte. Ich brach ein weiteres Schloss mit meinem großen Messer auf, bevor ich die Tür mit meinem Stilett knackte.
    «Haben Sie immer eine vollständige Bestecksammlung bei sich?», fragte sie.
    «Entweder Messer oder einen Satz Nachschlüssel», antwortete ich, während ich mich am Schloss zu schaffen machte.
    «Deswegen haben Sie bei den Chorstunden immer gefehlt. Wenn Sie mich fragen, es sieht ganz danach aus, als hätten Sie das schon öfter getan.»
    «Ich war früher mal Polizist, schon vergessen? Wir machen all die Dinge, die auch Kriminelle tun, aber wir kriegen viel weniger Geld dafür. Oder, wie in diesem Fall, überhaupt kein Geld.»
    «Geld ist Ihnen wohl ziemlich wichtig.»
    «Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich nicht so viel davon habe.»
    «Schön. Dann haben wir eine Gemeinsamkeit.»
    «Vielleicht haben Sie Lust, mir Ihre Dankbarkeit zu zeigen, wenn das hier alles vorbei ist.»
    «Sicher. Ich schreib Ihnen einen netten Brief auf meinem besten Briefpapier. Wie klingt das?»
    «Wenn wir wie durch ein Wunder Ihre Verwandten finden, können Sie dem örtlichen Erzbischof schreiben und meine heroische Tugend bezeugen. Vielleicht macht man mich in hundert Jahren zu einem Heiligen. Der heilige Bernhard. Es ist schon öfters passiert, warum nicht wieder? Es gibt sogar einen heiligen Hund mit diesem Namen. Das ist übrigens mein richtiger. Bernhard meine ich. Bernhard Gunther.»
    «Ich finde, Sie haben auch etwas von einem Bernhardiner an sich», sagte sie.
    Ich hatte das Schloss geknackt.
    «Sicher. Ich mag Kinder, und ich bin meiner Familie gegenüber loyal, wenn ich eine habe. Man sollte mir nur kein kleines Fass mit Branntwein um den Hals hängen, es sei denn, man will, dass ich es trinke.»
    Meine Stimme sollte zuversichtlich klingen. Ich versuchte ihr die Angst zu nehmen. In Wahrheit fühlte ich mich genauso nervös, wie sie es war – vielleicht sogar noch nervöser. Wenn man so viele Menschen sterben gesehen hat wie ich, dann weiß man, wie schnell das gehen kann.
    «Haben Sie die Taschenlampen mitgebracht?»
    Sie öffnete ihre Tasche, und zum Vorschein kamen eine große Fahrradlampe und eine kleine Dynamolampe, die man ständig zusammendrücken musste, wenn man wollte, dass sie leuchtete. Ich nahm die Fahrradlampe.
    «Nicht einschalten, bevor wir drin sind», sagte ich zu ihr. Ich öffnete die Tür und schob den Lauf meiner Smith & Wesson hindurch.
    Als nichts geschah, traten wir ein in das alte Hotel de Inmigrantes. Unsere Schritte hallten über den billigen Marmorboden. Wie zwei Geister, die sich nicht entscheiden konnten, in welchem Teil des Gebäudes sie spuken sollten. Es roch stark nach Moder und Feuchtigkeit. Ich schaltete die Fahrradlampe ein. Vor uns lag eine zwei Stockwerke hohe Eingangshalle. Niemand war zu sehen. Ich steckte meine Pistole wieder ein.
    «Wonach suchen wir?», flüsterte Anna.
    «Kisten. Kartons. Aktenschränke. Alles Mögliche, worin Akten der Einwanderungsbehörde lagern könnten. Das Außenministerium hat beschlossen, sie hier zu archivieren, als das Hotel de Inmigrantes geschlossen wurde.»
    Ich bot Anna meine Hand an, doch sie lachte nur.
    «Ich habe seit meinem siebten Lebensjahr keine Angst mehr im Dunkeln», sagte sie. «Heutzutage gehe ich sogar allein im Dunkeln zu Bett.»
    «Das ist nicht gut für Sie», sagte ich.
    «Es ist ein wenig sonderbar, ich weiß, aber irgendwie fühle ich mich dadurch sicherer.»
    Wir sahen uns im Erdgeschoss um, es gab vier große Schlafsäle. In einem davon standen immer noch Betten. Ich zählte zweihundertfünfzig, was bei fünf Stockwerken

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